Schneeberg am 2ten October 28.
Deinen Brief, mein lieber Götte, erhielt ich erst heute, wie ich eben mit recht innigem Herzen u. Sehnsucht an Dich gedacht hatte; Wunder nahm es mich jedoch, daß Du noch in Würzburg warst, <>da ich Dich schon längst an dem Rhein herumschwärmen glaubte. Deine Klagen sind gerecht und die Geschichte, diese ewig rükwärts gedrehte Prophetin, schlummert auch ewig auf schönen Leichen u. Trümmern u. das verschüttete Pompeji bleibt immer nur eine Ruine von Thränen, die, wie eine Satyre auf die jetzige Zeit, stumm u. leer in die kleinen Menschen blikt. O im Menschen ruht ein großer, ungeheurer Wunsch, ein unnen[n]bares, ein unendliches Etwas, was keine Lippe aussprechen kann; dieser Wunsch erwacht in den epischen Naturen, wenn er vor Ruinen, oder Pyramiden, oder vor Rom oder im Teutoburger Wald, oder auf Gräbern steht, in den lyrischen Naturen (ich bin eine), wenn die sanfte Tonwelt aufbricht, oder wenn’s Abend ist oder bey Gewittern, oder bey Sonnenaufgang. Ich glaube, daß dieses Etwas in <>Dir aufstand, wenn Du durch die Trümmer der gesunkenen Kraft u. des entnervten Charakters wandeltest u. daß Du weintest oder zürntest, weil Du noch nicht helfen u. handeln konntest. An eine allgemeine Volksbildung ist nicht zu denken<>, so schön auch das System des Idealism u. Molinaismus ist; o es müßte eine schöne Zeit seyn, wenn der Mensch ein mal ruhig u. befriedigt auf seinen Räthseln schlummern könnte; aber eben gerade dieses ewige Streben im Menschen, diese große, gewaltige Einseitigkeit, möchte ich es nennen, ist es, die das ermattete Leben wieder aufrichtet und dieses Unruhig- u. Unbefriedigt-seyn (Jahnische Schreibart!!) <>im Streben nach einem Ideal a priori, nach einem Höchsten, nach einem unübersteiglichen Maximum ist der unendliche Reiz, der noch an das erbärmliche Leben fesselt. In der [sic] <>Raume können wir uns das große vollendete Gemälde der Menschheit kaum denken; aber in der Zeit reichen sich die titanischen Riesengeister die Hände zur Bildung des Höchsten, u zum Riesenbau der vollendeten Schöpfung freilich lauf’ ich hier Gefahr über diesen unendlich reizenden Gegenstand noch einige Bogen voll zu schmieren, befürchtet’ ich nicht unnöthiges Porto, weil in jetzigen Zeiten selbst Gedanken Accise, Zoll pp. zahlen müssen, wenigstens die geschriebenen, oder realisirten. Aus der Reise nach Bayreuth ist, wie schon aus so viel andrem, Nichts geworden; Flechsig hatte kein Geld, Renz keine Lust u. ich keine Zeit, was wie bekannt die drei<> ersten Bedingungen zum Reisen sind. Ich lebe hier unter meinen Verwandten glükliche u. einsame Stunden u. der Herbst schüttet seine Blumen u. Blüthen noch freundlich in die Natur u. giebt der bewegten Seele schöne<n> stillen [sic] Freytage wieder, die im Leben so selten kommen, wie die wirklichen im Jahre. Leid thut es mir freylich, Deinem Wunsche nicht ganz nachkommen zu können, weil mein <>Beutel von einer kleinen Reise in das Erzgebirge ziemlich erschöpft u. windig ist. Doch hoff’ ich auf Renz, der auf jeden Fall noch einige Thaler beygelegt hat u. an den<> ich diesen Brief einschloß um einige Thaler beyzuschließen. Wär’ ich zu Hause <>u. bey meinen Brüdern, so wollt’ ich gerne mehr schiken, hier bin ich aber bey einem Bekannten u. daher erst in 8 Tagen zurük u. dann hätte schwerlich das Geld Dich noch in Heidelberg getroffen. Rosen schuldet mir noch einige Thaler u. von dem kannst Du Dir doch einstweilen Geld für meine Rechnung auftreiben lassen. Hoffentlich trifft Dich dieser Brief in Heidelberg u. sollt’ er später ankommen, so bin ich nicht Schuld daran, sondern Renz, der ihn vielleicht in Plauen hat liegen lassen, so sehr u. dringend ich ihn auch <ihn> gebeten habe, den Brief mit Geld gleich fortzuschiken. Einen unendlichen Gefallen thätest Du mir, wenn Du mir von Heidelberg oder Braunschweig aus schreibst, wie es Dir ginge, wie Du gestimmt bist, was Du fühltest pp.; jede Zeile von Dir ist mir werth u. theuer. Flechsig befindet sich wohl, grüßt Dich aber nicht, weil er nicht weiß, daß Du geschrieben hast. Renz besuchte uns neulich in Zwickau. Wie war Deine Reisegesellschaft? u. wie seyd ihr aus-und durchgekommen? Schütz ist nach München? wo ist Günther hin? beyde Menschen dauern mich; sie sind edel u. jugendlich – aber beyde schöne Crystallspiegel, die die Burschenschaft so angehaucht hat, daß sie blind geworden sind u. weiter nichts abspiegeln können – – einseitig<> – – Philosophus Reutel disputirt doch viel von relativ, absolut, negativ, Idealität, Dualismus, Kosmopolitismus, Pantheismus mit gewohnter <>Eloquenz. Die Atheisten lachen <>Alle aus; am Ende bist Du einer[,] wenigstens Dissidentist! Wie?
Rosen grüße herzlich von mir u. gieb ihm meinen Brief; sag’ ihm auch, er möchte bald auf einen [sic] letzten Brief beantworten. –
So lebe denn wohl, Du edler Mensch! Der Mensch kann Alles, wenn er will; so wollen wir Wollen u. wir werden handeln; wir leben in einer ungeheuren Zeit trotz der nahen Vergangenheit und die Sphynxe der Menschen lächeln, weil sie nicht mehr Thränen erpressen können. Jede Frage, die wir einmal an die Vergangenheit thaten, wollen wir noch einmal an die Zukunft thun u. sie wird uns Antwort geben. Zuvörderst wollen wir klar u. veredelt in unsrer Brust seyn; das Andre giebt sich. Der Mensch ist, was er immer war; aber er sollte u. könnte u. müßte mehr seyn. Dein Leben sey heiter u wolkenlos u. die Natur trokne alle Thränen, [sic] ab, die Dir die Menschen geben u. sie besänftige<n> den edeln Groll u. alle weinende Entzükung, u die Wehmuth. Sey menschlich u. bleibe mein Freund
Ich bin’s auch.
Schumann
Bis zum 18ten October bleib’ ich dahier; bis dahin erwart’ ich Briefe von Dir. Zu Ostern geh’ ich gewiß nach Heidelberg.
Herrn
Herrn Stud. philosoph. Wilhelm Götte
Wohlgeboren
zu
Heidelberg
inliegend: 1 Louisdor.
poste restante
Im Falle, daß der Brief binnen 8 Tagen nicht abgehohlt werden sollte, ergeht an ein resp. Postamt die Bitte, solchen an Stud. jur. Rosen, wohnhaft bey der Wittwe Panzer am Nekar abgehen zu lassen.