Leipzig d. 11 Debr. 49
Hochgeehrtester Herr Doktor!
Möge Ihnen die Zusendung beifolgender Lieder nicht als eine eitle Zudringlichkeit, sondern nur als der Ausdruck einer empfindenden Seele und, verzeihen Sie, wenn es vielleicht zu anmaßend klingt, als der Wunsch eines jungen Dichterherzens, wenigstens ein Kind seiner Phantasie durch Ihre Töne geheiligt und erhoben zu sehen, erscheinen. Fast alle Tage hörte ich Ihre Lieder und Compositionen und schon da tauchte dieser Gedanke in mir auf, aber gestern als ich von der Schönheit und Erhabenheit Ihres Adventliedes1 begeistert und hingerissen wurde, ist der Gedanke zum Entschluß geworden und so habe ich es gewagt. Es ist wahrscheinlich, daß Sie, geehrter Herr, noch keines meiner früheren Lieder kennen, obgleich ich unter dem auch hier beigesetzten Namen Woldemar Este schon einige herausgegeben habe und mehrere componirt worden sind, doch sagte ich mir selbst, die Unbekanntschaft wird nicht hindern, denn wenn das Lied nur selbst tüchtig ist, thut der Namen nichts zur Sache, und spricht Ihre Nichtannahme die Untüchtigkeit aus, nun so ist es eine Lehre und gute Kritik und ich werde sie zu benutzen wissen. Ich erlaube mir jedoch noch die Bitte, mir gütigst, sowol im ersten als zweiten Falle durch eine Zeile Ihre Antwort zukommen zu lassen, da Sie leicht begreifen können, daß sie für mich vom größten Interesse sein muß. Ich unterzeichne mit der innigsten Bitte, mir diesen Schritt zu verzeihen und bin Ew. Wohlgeboren
ergebener Woldemar Steinert.
NB. Adresse ist: Leipzig, Erdmannsstrasse No. 11. 2 Et.
|