Dresden, Amalienstrasse No. 8.
Am 30. July, 1841.
Verehrtester Herr Doctor!
Heute trete ich mit zwei etwas gewagten Anfragen vor Ihr, vielleicht sich etwas verlängerndes Angesicht. Ihre Nachsicht aber ist groß, wie ich schon vielfältig erfahren, und so will ich nur getrosten Muth zu dem Sprichworte fassen, daß ein gutes Wort eine gute Statt finde.
Zuerst
werden Sie sich gefälligst dessen erinnern, was ich vor etwa ½ Jahre Ihnen unter Ueberschrift „Bekenntnisse“ mit zuschickte, betreffend die mathe¬matische und tabellarische Darstellung der Tonarten. Das sey, haben mir Einige später gesagt, allerdings ein interessantes und der Beackerung aus theoretischen Gründen wohl würdiges, Feld. Besonders aber hat der Bor¬romäus v. Miltitz mir den Kopf beutend deßhalb gewaschen, daß ich den Lesern den Mund aufgesperrt, aber nichts hineingegeben habe. Freilich mußte ich mir das gefallen lassen, da ich es verdient; es ärgerte mich aber doch. Nun trifft es sich aber jetzt, daß ich, in alten Scripturen nach etwas ganz Anderm suchend, ein Heft finde, wo ich, wie ich mit Erstaunen sehe, jenes Capitel wirklich fast bis zu Ende behandelt habe; dies geht so weit, daß sogar die Generaltabelle über alle |2| Intervalle nach dem mittlern Betrage, nach ihrer größten und nach ihrer kleinsten Spannung mit Bei¬setzung der Tonart, wo jenes oder dieses stattfindet, und zwar im Berei¬che zweier Octaven, mithin 396 Resultaten meiner Berechnungen, dabei fertig liegt. Es fragt sich nun: wenn ich a.) noch die, nun nicht mehr so gar lange Zeit auf die Vollendung der Arbeit wendete, und b.) dem Gan¬zen die möglichst-kurze Einrichtung mit Hinweglassung der überflüssigen Zwischensätze und Hilfs-Berechnungen, folglich nur die Darstellung des Ganges meiner Ansichten und Berechnungen, und dann diejenigen Resul¬tate gäbe, auf die es hierbei ankommt: würden Ew. Wohlgeb. diese wohl in die Ztg. aufnehmen? Darauf müßte ich denn freilich vorläufige Antwort haben, ehe ich ans Werk der Vollendung ginge. Denn wenn auch dieselbe an sich nicht mehr so sehr viel Zeit erfordert, so wird diese doch haupt¬sächlich dazu erforderlich seÿn, mich erst gänzlich wieder in die seit fast 10 Jahren liegen gelassene Angelegenheit hinein zu studiren.
Das Zweite
ist noch delicaterer Art; aber ich kann der Noth nicht ausweichen. Man¬cherlei Unglück ist zusammengekommen, am allermeisten durch vergeb¬liche, verfehlte Speculationen. Die wichtigste war eine Reise, die ich nach einer Verabredung mit meinem Verleger des „Handbuches der sächs. Geographie“ |3| durch einen Theil des Landes zunächst versuchswei¬se machte, nun in eigner Person die bisher allerdings kleine Zahl der Subscriptionen zu vermehren. Aber das Resultat ist so gering, so abschre¬ckend, das es für ein Werk, dessen kein anderer Staat sich in dieser Voll¬ständigkeit rühmen kann, bei den beiden ersten Bänden (der Hälfte des Ganzen) bleiben wird, die nun überdieß für ihre Käufer kaum denselben Werth haben. Der Verleger ist besonders durch die gänzliche Unlust der Regirung, das Erscheinen des Werkes zu ermöglichen, so verstimmt und entmuthiget worden, als er dieses zwar bei seinem starken Vermögen nicht gerade nöthig hätte. Da würde Ihr sel. Herr Vater – mit welchem ich unter allen Verlegern, die ich je gehabt, stets am besten gekommen – ge¬wiß anders denken, und das angefangene Buch durchaus vollenden, wozu meinerseits alles vorbereitet ist. Doch das beiläufig! ich rede nur von der Noth, in die mich auch dieses verfehlte Unternehmen so arg gebracht. Auf derselben Reise begegnete mir auch, was mir auf so vielen Fußreisen in meinem Leben mir begegnet: ein arger Verlust oder richtiger ausge¬drückt Diebstahl meiner Börse; hätte ich nicht einen Freund in Zittau ge¬habt, ich hätte nicht gewußt, wie wieder nach Dresden kommen. Und das unmittelbar vor dem Schlusse des Halbjahres! Was Wunder, wenn ich jetzt ganz erschöpft bin? Nun ist mir freilich ganz unbekannt, ob ich, nachdem Ew. Wgbh. mir schon |4| vor etwa 1/2 Jahre gütigst eine Zahlung durch Herrn Meser zugewiesen, zur Zeit in Avance bei Ihrer Zeitung bin, oder nicht. Wenn aber auch wirklich das Letztere der Fall wäre, so würde ich dennoch im Vertrauen auf Ihre Güte und Billigkeit mich zu der Bitte um Uebersendung einiger Thaler entschliessen, obwohl sie mir – offen gesprochen – recht schwer ankommt. Aber nochmals, mich tröstet das Sprichwort: ein gutes Wort findet eine gute Statt. Wie gewaltig ich mich beschränke, um das Unglück mindestens in seinen nachhaltigen Folgen aufzuheben, können Sie aus nichts deutlicher entnehmen, als daraus, daß ich bis jetzt noch nicht das neue Theater besucht habe, so sehr mich auch verlangt, mindestens Moriani einmal zu hören; denn die Unger kenne ich von früherer Zeit her.
Von musikalischen Neuigkeiten ist demnach, meinerseits mindestens, keine Rede in dieser Zeit, die ohnehin für Musik hier die Gurkenzeit ist. Selbst vom Capellconcerte für ┌die┐ Naumanns-Stiftung zu Blasewitz, das eigentlich uns im July versprochen war, ist es jetzt ganz still. Auch ist allerdings dessen Verschiebung bis in den Spätherbst zu wünschen, wo mehr Geld einkommen kann, als im hohen Sommer. Freude erregt unter den Musikfreunden die Gewißheit, daß für die Concerte im grossen Gar¬ten von Michaelis an in Zillmanns Stelle das Hartung’sche Corps eintreten wird; es alternirt mit jenem vom Leibregiment. Auch spielt es jetzt Donnerstags auf der Terrasse.
Doch das Papier geht zu Ende
Ihrem
gehorsam-ergebensten Albert Schiffner.