Dresden, 18. Mai. 1844.
Geehrtester Herr!
Ihr gef. Schreiben von gestern hat mich überrascht, da es fast den An¬schein giebt, als glaubten Sie, ich schriebe – lobte oder tadelte – nach per¬sönlichen Rück- oder Ansichten. Ich bin davon weit entfernt, wie hoffent¬lich meine bisherigen kritischen Bestrebungen dargethan haben werden, schreibe stets nach bestem Wissen u Gewissen, u von Grundsätzen aus, mehr u deshalb wohl bisweilen etwas scharf u hart. Aber wo die literari¬sche Mittelmäßigkeit in eitler Arroganz sich brüstet, wo ein künstlerisches Nichts eine künstlerische Bedeutung mit der liebenswürdigen Unver¬schämtheit der Junghegelianer pp unserer Tage sich vindiciren will: da kann das auch wohl nicht anders sein, u ich spreche ja nur Ihren eigenen Grundsatz aus, wenn ich behaupte, daß nur wahre, gesinnungsvolle, auf Principien basirte, darum aber strenge u unnachsichtige Kritik in dieser Zeit der literarischen u künstlerischen Halbheit, der feilen, kritischen Lob¬hudelei oder Schmähsucht wirken u helfen kann. Von einer Persönlichkeit gegen Hn. B. kann nun aber bei mir gar nicht die Rede sein, da ich ihn nur aus seinen Leistungen kenne, u ich überhaupt stets nur die Sache im Auge habe: ich müßte mich ja fast schämen, an ehrenwerthen Zeitschriften als Kritiker zu wirken!
In Betreff der vier Sätze in Rede erlauben Sie mir nun zu bemerken, daß ich in einige kleine Aenderungen, um Ihnen gefällig zu sein, gern wil¬lige, doch nur so, daß die Charakteristik des Docenten, die sich in wahrhaft weibischer Eitelkeit concentrirt, nicht leidet. Ich bin das der Wahrheit schuldig, um so mehr als ich mir doch auch nicht selbst widersprechen kann! Die Aenderungen, die ich gleich auf der gütig mitgesandten Einlage, welche hier zurückerfolgt, gemacht habe, werden Ihnen wohl zusagen. Übrigens sein Sie überzeugt, daß ich stets gern bereit bin, Ihren etwaigen Wünschen zu genügen, so weit sich das – was Sie ja dort nicht immer wis¬sen können – mit Wahrheit u Unpartheilichkeit verträgt. In dem vorliegen¬den Falle aber verdient unstreitig ein Lector, der sich im Leipz. Tageblatt zu Vorlesungen auffordern läßt, u in keiner Weise in seinem Fach das leistet, was zehn andere tüchtige Leute in Leipzig selbst, die ich Ihnen ja nicht erst zu nennen brauche, wohl eine ernstliche Zurechtweisung. Aller Charlatanism ist mir im höchsten Grade zuwider. –
Auf die gef. Zusendung des Oulibicheff freue ich mich sehr, u bitte nur ergebenst, dieselbe bald zu bewirken. – Mein Exemplar der Zeitschrift habe ich noch nicht, während die regelmäßige Zusendung um so leichter zu bewirken ist, als Ihr werther H. Verleger, dem ich mich <übrigens> ergebenst zu empfehlen bitte, Commissionair der Meser’schen Musik¬handlung hier ist, durch welche ich die Blätter zu beziehen wünsche. Den „Concertbericht“ werde ich Ihnen |2| möglichst bald liefern, doch wäre es mir lieb zu wissen, ob Sie die ganze Saison – d. h. vom October v. J. an – oder nur die Zeit von Neujahr ab, kurz besprochen zu haben wünschen; auch der „Opernbericht“ für das erste Quartal d. J. erfolgt nun bald. Für das im August d. J. in Meißen stattfindende Männergesang¬fest trage ich mich Ihnen als Referent an, wenn Sie darüber nicht anders disponirt haben, oder disponiren wollen; ich besuche dasselbe, ohne mich jedoch irgend einem Theile anzuschließen, was ich absichtlich nicht thue, schon meiner hiesigen Stellung wegen. Vielleicht kann ich Ihnen auch eine Besprechung (nach der Partitur) einer am vorigen Sonntag aufgeführ¬ten neuen Messe von Reissiger zusenden, wenn Ihnen daran gelegen – wenigstens werden Sie aus den Vorschlägen sehen, daß ich mich lebhaft für Ihr Blatt interessire.
Haben Sie Dank für Ihr freundliches Schreiben, dessen gute Absicht ich durchaus nicht verkenne, u sein Sie überzeugt, daß ich stets hochach¬tungsvoll u ergbst
Ihr
J. Schladebach
|4| An
Die verehrl. Redaction der Zeitschrift f. Musik
(Herrn O. Lorenz Wohlgebrn)
Leipzig