23.01.2024

Briefe



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ID: 4942
Geschrieben am: Freitag 30.06.1843
 

Tübingen, den 30. Juni 1843.
Hochzuverehrender Herr Doctor!
Die außerordentliche Güte, mit der Ew. Wohlgeboren früher schon meinen Wünschen entsprochen haben, ermuthigt mich, mich mit einer neuen Bitte, obwohl andrer Art, an Sie zu wenden. Sie finden anbei ein Heft Lieder für eine Singstimme mit Pftebegleitung, von meiner Composition, die ich herauszugeben wünsche. Es ist nicht Eitelkeit, was mich hiezu treibt, noch weniger ein materielles Interesse; ich habe den Schritt, den ich hiemit zu thun im Begriffe stehe, wohl überlegt und habe gefunden, daß es, wenn ich irgend je als Componist auftreten will, nöthig ist, dieß bald zu thun. So wenig ich mir nun auch ein <ein> gänzlich unbefangenes Urtheil über meine eigenen Producte zuschreiben will, so glaube ich doch zu der Ansicht berechtigt zu seyn, daß die beiliegenden Lieder, mag ihnen auch noch viel Unvollkommenes anhaften, nicht gerade unwürdig <zu sein> sind, die Laufbahn eines jungen Componisten zu eröffnen, der, <seine Kunst> obgleich er vorderhand nach dem gewöhnlichen Redebrauch <in> noch in die Classe der Dilettanten zu zählen ist, dennoch seine Kunst heilig achtet und das eifrige Streben hat, zu ihrer Förderung beizutragen, was in seinen geringen Kräften steht. – In unseren Gegenden aber<> |2| ist, wie Sie wissen, der Musikverlagshandel sehr unbedeutend; einige Versuche, die ich gemacht habe, sind mir fehlgeschlagen. Ich kann mir aber denken, daß es auch in Norddeutschland trotz der räumlichen Menge von Verlagshandlungen für einen unbekannten jungen Componisten, der von keiner Autorität beschützt ist, schwer hält, bei einem Verleger anzukommen, seine Leistungen mögen seyn, welche sie wollen; überdieß würde es mir die weite<re> Entfernung fast unmöglich machen, mich mit Verlegern in <Unt> Vernehmen zu setzen, ohne eines allzulangen Verschubs Gefahr zu laufen. Daß [sic] veranlaßt mich, mich an Ew. Wohlgeboren mit der ergebensten Bitte zu wenden, Sie möchten meine Lieder einer kurzen Durchsicht würdigen u dieselben irgend einem der vielen Verleger in Leipzig, vielleicht dem Verleger Ihrer Zeitschrift, zur Uebernahme empfehlen, womit ich <mich>, im Falle ein solcher geneigt wäre, mit demselben in weitere Unterhandlung treten würde. Ich sehe wohl ein, daß ich Ihnen mit diesem Gesuche sehr beschwerlich falle u daß ich auf die Gewährung derselben nicht den geringsten Anspruch habe; aber die Güte, mit der Sie mich früher aufgenommen haben und das ungemeine Wohlwollen, womit Sie, hochzuverehrender Herr Doctor, jedem redlichen Streben in der Kunst entgegenzukommen gewohnt sind, läßt mich hoffen, daß Sie die allerdings große Freiheit, die ich mir genommen, entschuldigen u meiner ergebensten Bitte gütigst entsprechen werden. –
Für Ihre geschätzte Zeitschrift beehre ich mich hier eine kurze Notiz beizufügen. <So wenig auch bei uns Großes> |3| So wenig auch bei uns Großes in der [Musik (?)] geschieht, so gerne würde ich Ihnen doch von Zeit zu Zeit Notizen über das Wichtigste mittheilen, wenn es mir <mich> nicht theils durch die Umstände, mit denen dieß bei der großen Entfernung verknüpft ist, theils durch meine eigene Entfernung von der Hauptstadt erschwert wäre. Zu größeren, selbständigen Aufsätzen finde ich, da ich meiner <der> Neigung <meiner> leider nicht hinlänglich Genüge thun darf, zu wenig Zeit, als daß ich Ihnen <eine> öftere Mittheilungen versprechen könnte. – Ueber die neue Oper Lindpaintner’s „Die sicilianische Vesper“ interessirt es Sie vielleicht zu erfahren, daß der große Beifall, von dem die öffentlichen Blätter sprechen, mehr künstlich, <hervorgebracht zu seyn> als künstlerisch hervorgebracht zu seyn scheint. Von der Beschaffenheit der Oper können Sie sich einen ungefähren Begriff machen, wenn ich bemerke, daß sowohl das Libretto als die Musik den Hugenotten6 auffallend nachgemacht, aber auch bloß nachgemacht <h> ist.
Indem ich nocheinmal meine Bitte, durch deren Erfüllung Sie mich zu größtem Danke verpflichten würden, wiederhole, empfehle ich mich zu Ihrem fortdauernden Wohlwollen und verharre in vollkommenster Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
I. Faißt,
theol. stud.

  Absender: Faißt, Immanuel Gottlob Friedrich (437)
  Absendeort: Tübingen
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 26
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka, Thomas Synofzik, Eva Katharina Klein und Michael Beiche / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-051-3
285ff.

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 15 Nr. 2635
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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