Hamburg den 25st März 1843.
Lieber Freund!
Eigentlich habe ich durch mein unverzeihliches Stillschweigen fast das Recht auf Ihre Freundschaft verloren, ich komme aber als ein recht reuiger Sünder, bitte schlagen Sie ein in meine Hand und hegen Sie keinen Groll gegen mich, es wäre ein zu schweres Opfer für all meine Mühe, die ich für die Anschaffung unserer Bibliothek hatte, wenn ich sie mit dem Verlust Ihrer Freundschaft erkaufen sollte. –
Zuerst den herzlichsten Gruß von mir und meinem lieben Weibe, Ihnen und Ihrer lieben Frau. – Meine Frau hat mir am 5ten März ein kleines Töchterchen geschenkt, sie ist leicht u glücklich entbunden. – Bester Mensch, ich hätte es nie geglaubt, daß der erste Schrei eines neugebornen eigenen Kindes so gewaltig durch alle Lebensadern dringend klingen könnte, ich weiß auf Gottes weiter Erde keinen so süßen Klang, wie diesen. – Aber die armen, armen Weiber, diese Schmerzen, und kein Mensch lebt, der seiner Mutter nicht diese Schmerzen gemacht hätte!
Lieber Freund, wenn Sie nur wüßten, wie oft ich schon Briefe an Sie angefangen und immer wieder bei Seite gelegt habe, weil ich noch immer kein vollständiges Endresultat unserer Bemühung hinsichtlich der Anschaffung unserer Bibliothek Ihnen mittheilen konnte. – Wenn ich auch immer noch nicht ganz damit zu Ende bin, so kann ich doch nicht länger säumen, weil mein Gewissen mich zu schändlich plagt. – In Folge Ihrer Aufforderung in der musikalischen Zeitung und nachher von mir geschriebener Briefe haben uns alle Verlagshandlungen an die wir uns wandten die vortheilhaftesten Bedingungen gewährt. Mehrere von ihnen haben aber ausdrücklich gebeten, diese Bedingungen detaillirt nicht öffentlich auszusprechen, weil sie dadurch in Collision mit Handlungsfreunden kommen würden. – Die Petersche Handlung in Leipzig schickte uns ihren Catalog und bat uns, die für uns passenden Werke desselben <uns> auszusuchen, es mache ihnen Freude uns solche als Geschenk anzubieten. Kistner schickte uns ebenfalls ein sehr werthvolles Geschenk bestehend in den besten für uns passenden Werken seines Verlags. Außerdem erhielten wir von hiesigen Dilettanten manches ganz nette Geschenk. – Sie schrieben im vorigen Jahre von einigen Noten, bestehend in geschr. Stimmen zum Judas Maccab u Kyrie von Jomelli. Sie würden uns durch Uebersendung derselben einen großen Dienst erweisen. – Ach lieber Mensch, ich schäme mich ganz schändlich, daß ich so lange gegen Sie schweigen konnte, bitte, bitte, bitte nicht böse seyn! – Ein sehr werthvolles Geschenk erhielten wir auch von der Berliner Singakademie, bestehend in sämmtlichen Fasch’schen <Werken> gedruckten Werken. – Können Sie aus diesen Anzeigen eine passende für Ihre musik. Zeitung machen? – Sie sagten in Ihrer Aufforderung, daß Sie seiner Zeit ein Näheres über die uns werdenden Begünstigungen und Unterstützungen bekannt machen würden. – Bitte, erwähnen Sie dabei, daß ich im Namen des hiesigen Vereins noch einmal öffentlich meinen Dank gegen alle die Verlagshandlungen ausspreche, die uns mit Hintenansetzung des eigenen Interesses, so willig und freundlich entgegenkamen. |2| Leider erlaubten uns unsere pekouniairen Verhältnisse nicht, von allen Anerbietungen Gebrauch zu machen; – Namentlich habe die der Diabellischen u Mechettischen von der Hand weisen müssen. – Schott in Mainz u André in Offenbach habe ich immer noch nichts Näheres schreiben können. Ich kann mich immer noch nicht entschließen die Anerbietungen dieser Herren von der Hand zu weisen, da sie so sehr gute für uns passende Werke in ihrem Verlage haben. Ich hoffe immer noch auf eine günstigere Gestaltung unserer pekouniairen Verhältnisse, da uns leider eine zu geringe Entschädigung aus der Biberschen Assecur. geworden ist. – Ich will dieser Tage an Schott u André schreiben, und sie um Verlängerung Ihres Anerbietens bitten. – Sagen Sie in Ihrer Anzeige auch noch, daß es uns möglich geworden sey, uns eine ziemlich reichhaltige Bibliothek wieder anzuschaffen, wozu uns <bei unsern den> nur die vortheilhaften Anerbietungen in den Stand gesetzt hätten. –
– Mit der größten Freude habe ich in Ihrer Zeitung von der in Leipzig zu errichtenden Musikschule gelesen. – Unserm Deutschland thut ein solches Institut so Noth. – Ich zweifle keinen Augenblick an dem Gedeihen dieses Unternehmens, da so bedeutende und in der Musikwelt so vollgültige Namen an der Spitze desselben stehen. Wäre ich jünger und unverheirathet, ich meldete mich auch noch zum Zögling, so aber bin ich zu alt, hoffe aber doch Ihnen dann und wann einen Zögling hinzusenden.
Dieser Tage gab Berlioz hier sein erstes Conzert. – Ob seine Compositionen Anklang gefunden haben? – Sie können es auf keinen Fall durch einmaliges Anhören, man merkte es dem Publikum daß es nicht wußte, wie ihm geschah. – Es ist auch zu eigene Musik, mir selbst ward ganz wirre dabei und nur ein Gefühl war klar und bestimmt in mir, mir war sehr ernst und trübe, es war mir, als dränge mir das ungeheure Ringen eines sehr bedeutenden Menschen bis tief ins Innere. – Mir scheint Berlioz Musik ein Ringen auf Kosten seines Herzblutes nach etwas Unmöglichem zu seyn. – Das was Berlioz will, kann die Musik nie und nie geben, sie ist dazu zu geistig und doch wieder auf gewisser [sic] Weise zu sinnlich, überhaupt aber <nur> zu unbestimmt und zu vieler Lesarten fähig. –
– Lieber Freund, nun habe ich noch eine Bitte. Kennen Sie Kistner genauer? – Er hat uns Werke, sehr schöne Werke seines Verlages zum Geschenk gemacht, aber ohne Stimmen und an denen liegt uns am meisten. Ich schrieb, dieserhalb schon an ihn, habe aber auf 2 Briefe keine Antwort erhalten, er hat die Werke Grund eingesandt. – Können Sie nun Kistner nicht fragen unter welchen Bedingungen er uns Stimmen überlassen würde? –
– Wie es sonst bei uns in Hamburg steht? – Es wird gebaut und immer gebaut! – Allerlei nette Hoffnungen knüpfen auch wir Musiker an den Bau, ich hoffe sicher, daß sich eine günstigere Zeit für Kunst in Hamburg herausstellen wird, ein großer Conzertsaal ist ein Werk, der 2 500 Menschen fassen kann, stände er nur erst wirklich da und nicht nur auf dem Papier. – Ginge überhaupt nur erst der Handel besser, er ist jetzt gar zu schlecht und wir hier in Hamburg hängen durchaus von den guten Handelsgeschäften der Hamburger ab. –
– Aber nun muß ich schließen, sonst bleibt der Brief noch einen Posttag länger liegen. Nochmals die Bitte, mir nicht böse zu seyn, ich bin zwar ein Sünder, aber ein reuvoller, Sie dürfen mir nicht böse seyn. Meine Frau u ich grüßen Sie u Ihre liebe Frau nochmals auf das Herzlichste
Ihr
Theodor Avé Lallemant.
|4| Sr Wohlgeb.
Herrn Doctor R Schumann.
in
Leipzig
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