23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 5096
Geschrieben am: Montag 06.12.1841
 

Da ich nicht weiß, ob Sie,
verehrtester Doctor!
dem unsterblichen Mozart zu Ehren Ihren Lesern Bericht geben wollen über die Feier, die ihm wohl an mehreren Orten gestern – auch für Sie und Ihre hochverehrliche Gemahlin einem rechten Ehrentage, zu wel¬chem ich schönstens gratulire – geschehen seyn mag, ja, ob Ihnen nicht vielleicht sogar an Neuheit dieser Mittheilungen liege: so nehme ich das Gewisse für das Ungewisse, und erzähle im Beiligenden, noch voll des frischen, aber gewiß auch unverlöschlichen Eindrucks, den das Concert der Dreyssig’schen Akademie – und besonders durch den Davidé peni¬tente – auf mich, wie auf 6–700 Andere gemacht hat. Dresden wird lange daran denken, und ┌ich┐ habe mich mehrere Stunden im Bette gewunden, wie ein Wurm, ehe ich es zum Einschlafen brachte. Nehmen Sie nun von dem, was ich biete, so viel und so wenig Sie wollen; und erhalten sie noch einen andern Bericht von hier, so läßt sich vielleicht aus Beiden etwas Erkleckliches zusammenfügen. Jedenfalls schicke ich einen Text mit, da ich zufällig zwei Exemplarien erhalten habe. Das Concert hatte übrigens noch einen Vorzug, den ich im Berichte nicht berührte; es vereinigte die Musikfreunde, und schloß die aus, die den Gulden-Concerten blos bei¬wohnen, um ihren Stat anzulegen, und fremden Stat zu mustern, und sagen zu können: ich bin da gewesen. Solche Leute giebt es hier eine gute Zahl, und |2| ohne Zweifel wird Liszt davon eine Menge übermorgen versammel[n,] ja um so mehr, als der Anschlagzeddel von zahlreichen Ini’s spricht. Da ist Bellini, Pantaleoni, Paccini, und der Ober-Ini Rossini. Alle Ross-, Pacc- und Bell-Ini können an mir ziehen, wie viel sie wollen: mich bringen sie nicht ins Hotel de Saxe. Es haben doch ehemals auch Leute in Italien gelebt, die nicht zu verachten waren: Palestrina, Allegri, Carissimi, Scarlatti, Durante, Leo, Porpora, Lotti, Galuppi, Jomelli, Pai¬siello, Cimarosa u. s. w.; aber da haben sie sich nicht dutzendweise, wie jetzt, auf ini geendigt. Das haben erst Piccini und Sacchini aufgebracht. Uebrigens wird es auch den Ini’s gar nicht darum zu thun seyn, mich zu fangen; man jagt ja nicht nach Kirchmäusen. Doch halt, das ist ein Punct, wo das Spassen leider mir ausgeht! Es sind in der letzten Zeit so vielerlei Ungl[ücks]fälle, besonders in der literarischen Sphäre, auf mich einge¬drungen, daß ich ohne gütige Theilnahme einiger Verwanden schon hätte müssen die verzweifelsten Mittel ergreifen. Zu diesen aber rechne ich die Trennung von meinem trefflichen Clavier. Wie so schmerzlich diese mir sey, kann Ihnen wohl nichts besser sagen, als: daß ich nun seit 1 ½ Jahren nicht darauf gespielt habe, blos damit ich mich an die längst befürchtete Trennung desto leichter gewöhnen möchte. Abgewehrt habe ich aus Lei¬beskräften; aber es wird nun schwerlich anders werden können. Und das ist desto schmerzlicher, als ich gerade nun dem Zeitpuncte nicht mehr fern stehe, wo ich das Instrument als gerettet ansehen dürfte. Denn gerade jetzt ist in den Ministerien die Berathung über eine 2te Expeditorenstelle beim statistischen Vereine, und wird sie beschlossen, so kann sie mir nach der Versicherungen des Comité’s und nach den Bemühungen, die der |3| Minister Lindenau sich für mich gegeben, nicht entgehen. Dennoch währt es bis zur Entscheidung zu lange. Gern möchte ┌ich┐ mindestens zu meinen Verwanden reisen, um mit ihnen zu berathen; aber besonders im Winter reist es sich doch nicht ohne Geld. Fürwahr, es ist kein Wunder, wenn ich jetzt manchmal in einem Grade entmuthiget und verstimmt bin, deren ich früher bei meiner sorglosen Heiterkeit nicht für möglich gehal¬ten hätte; ich fühle mich nur noch, wie einen willenlosen Ball in der Hand des Schicksals, und blos die Musik ist es, die mich auf Zeiten alles verges-sen läßt. Das alles ist und klingt sehr trübe; es ist aber auch nur unter vier Augen gesprochen.
Für Aufnahme von Morlacchi’s Besprechung danke ich schöns¬tens. Daß sie hier wohl angesprochen, können Sie daraus ersehen, daß Reissiger vorgestern vor der katholischen Kirche – was er doch nie gethan – mich ansprach, mir in seinem und der Capelle Namen für die¬ses schriftliche Denkmal dankte, und mich versicherte, es habe ihm und Anderen besonders wohl gefallen. R. wohnte auch, was seit vielen Jahren nicht geschehen, dem Akademie-Concerte bei. Ueberhaupt waren, ohne Miltitz, alle musikalische Notabilitäten da, selbst der alte Mieksch, zu dem nach dem Concerte eine Dame nach der andern gehüpft kam, ihm die Hand als ihrem alten Lehrer zu drücken; der Mann war ordentlich beneidenswerth.
Ruhen sie auf Ihren Lorbeeren ganz sanft aus, doch nicht zu lange. Dieß der herzlichste Wunsch Ihres
ergebensten A. Schiffner.

  Absender: Schiffner, Christian Albert (1340)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
507-510

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 13 Nr. 2110
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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