23.01.2024

Briefe



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ID: 5407
Geschrieben am: Samstag 18.06.1842
 

Lieber Freund!
Was mögen Sie nur denken, daß wir den freundlichen Brief Ihrer lieben Frau noch immer so unbeantwortet gelassen haben? – Meine Saumseligkeit lag theils mit darinn, daß ich zugleich ein Anliegen an Sie hatte, über dessen Umfang ich erst jetzt etwas klarer geworden bin. Meine Frau aber ist leider seit 14 Tagen sehr unwohl gewesen, bei ihr rächt sich jede Aufregung erst immer nachher und in Folge des uns betroffenen harten Schicksals war sie wirklich so unwohl, daß ich den Arzt gebrauchen mußte. – Ich sage des uns betroffenen Schicksals, obgleich wir direckt vom Feuer verschont geblieben sind, indem sich das Feuer an unserer Vorstadt St Georg brach. Es ist aber wohl Keiner der nicht indireckt mit bei dem furchtbaren Unglück gelitten hätte, auch ich durch den Verlust mehrerer Stunden, was indessen gar nicht gegen das furchtbare Unglück in Anschlag zu bringen ist. – O lieber Freund, was waren das für Tage? – Noch begreife ich es kaum, daß ein solches Unglück möglich war, die darauf folgenden Tage der furchtbarsten Anstrengung waren eine wahre Wohlthat, sie betäubten gewißermaßen den Jammer und das Elend. O es war eine Seeligkeit, wie ich sie nie empfunden habe, zu helfen und mitzuwirken, um den Obdachlosen Obdach, den Hungringen [sic] Speise anzuweisen, Gott sey Dank es gelang besser, wie es irgend Jemand in der Betäubung ahnte, es gelang mit Gott und mit Deutschlands Sinn! – Wahrlich diese<s> Erhebung Deutschlands ist fast größer, wie man sie für möglich hielt, – es ist eine Seeligkeit erprobt zu haben was deutscher Sinn vermag wo es Noth thut. – Ich leugne es nicht, ich habe wie ein Kind geweint bei dieser Kunde von Theilname, die uns von allen Seiten zu Theil ward. – Möge Hamburg nie vergessen wie Millionen Deutsche einen Bürgersinn bethätigten, wie ihn nur ein Ideal für möglich hielt. – Doch viel besser, wie ich es schreiben könnte, wird jeder Deutsche die Seeligkeit des Gebens empfinden. –
Der liebe Brief Ihrer Frau war uns auch eine so recht liebe volle Gabe, ach es thut so wohl zu erfahren, wie auch in der Ferne liebe Menschen um uns sorgen, uns lieb haben; Grüßen und danken Sie Ihr liebes Menschenkind für die wundernetten Zeilen. Meine Frau wird so wie sie wieder ganz wohl ist selbst einen Brief schreiben, sie fühlt sich seit Gestern viel besser. –
Aber lieber Freund ich bin unverschämt, ich komme mit einer Bitte, zürnen Sie nicht darüber, ich habe mich lange genug gewehrt, ehe ich Sie [sic] an Sie richte. –
Diese Bitte betrifft unsere Singakademie. Sie steht unter Leitung des Herrn Grund und ist das einzige Organ hieselbst, durch das die Meisterwerke der Kirchenmusik dem Publikum zu Gehör gebracht wird. – Unsere Singakademie besaß eine so schöne Bibliothek, was ich am besten beurtheilen kann, da ich der Bibliothekar derselben bin. – Mit der unsäglichsten Mühe hatten wir den größten Theil unserer Bibliothek aus der ehemaligen Börsenhalle, wo sie sich befand gerettet und zwar zu Herrn Böhme. Den andern Tag kam aber in diese Gegend das Feuer so reißend schnell, daß selbst Herr Böhme fast Nichts retten konnte. Unsere Bibliothek ist total ein Raub der Flammen geworden. – Wir hatten sie mit
6 000 Bar bei der sogenannten Bieberschen Compagnie versichert. Wenn aber irgendetwas schlimm ist bei der furchtbaren Calamität, so ist es diese Versicherungsanstalt. Sie hat gar keinen festen Fonds, sondern ist auf die Verpflichtung basirt, die jeder Versicherte übernimmt bis zu 4% Einschuß zu leisten, falls einmal ein großes Feuer käme. – Diese 4% wenn sie alle |2| eingehen, worann gar nicht zu denken ist, würde für den ungeheuren Schadenbetrag kaum 14% Ersatz bieten. Bei dieser Compagnie sind fast alle unsere Mittelstandsleute, aber auch Reiche und ganz Arme versichert. Ich glaube, daß der größte Theil der uns zugeflossenen Hilfsgelder wird dazu angewandt werden, den Leuten wieder aufzuhelfen, die durch diese <Versicherung> Compagnie trotz ihrer Versicherung keinen Ersatz finden können für ihren gänzlichen Ruin. – Sie werden mir beipflichten, daß unsere Singakademie nicht mit diesen ganz Verarmten in gleiche Kathegorie insofern zu stellen ist, als sie der öffentlichen Unterstützungsbehörde anheim fäll<t>en sollte. – Bei so furchtbarer Calamität muß nur das Nothwendigste berücksichtigt werden und in den Augen des Staats wird derselbe schwerlich unsere Singakademie für eine Nothwendigkeit in der Zeit der Noth halten. – So ist unsere Singakademie denn ganz verarmt, da ihr Vermögen in ihrer Bibliothek bestand. Einen kleinen Fonds besitzt sie indessen doch noch, indem ein kleiner Ueberschuß vor 2 Jahren in einen Häuserposten belegt ward. Schwerlich aber werden wir mit diesem und dem uns etwa werdenden Ersatz aus der Brandversicherung im Stande seyn uns so viel Noten anzuschaffen, als wir deren nur für den nächsten Winter bedürfen. – Um diese Singakademie aber vom gänzlichen Untergang zu retten, darum wende ich mich an Sie mit der Bitte uns beizustehen in der Zeit der Noth. – Sollte es nämlich nicht möglich seyn, daß man einige Verlagshandlungen, die besonders Kirchensachen verlegt haben, zu einer bedeutenden Preisermäßigung für unsern Bedarf <zu> gewinnen könnte. – Wir haben bisher einen 33 1/3 % Rabatt beim Ankauf genossen, und würden uns wenigstens einen erträglichen Notenvorrath wieder verschaffen können, wenn wir uns in den Besitz von Noten um die Hälfte des bisher gegebenen Preises setzen könnten. Natürlich muß sich dieses besonders auf Werke beziehen von denen auch sämmtliche Stimmen gedruckt und für uns ganz vollständig so zu haben sind. – Ich mögte Ihnen liebster Mensch diese Angelegenheit so recht dringend anempfehlen, es liegt wirklich für unser Hamburg viel darann und Alle die uns in der Beziehung unterstützen machen sich wirklich um die Kunst in unserm unglücklichen Hamburg sehr verdient. – Können Sie nicht mit einigen Ihrer vielen Bekannten über diese Angelegenheit sprechen, sollten Sie gemeinschaftlich sich mit diesen, nicht <i>an die bedeutendsten Verlagshandlungen wenden können? – Ueberlegen Sie Sich es einmal, aber bitte liebster Freund, zürnen Sie mir nicht über meine Unverschämtheit. Könnten Sie nicht mit Breitkopf u Härtel, mit Petersen, oder wer jetzt die Handlung hat, in dieser Angelegenheit sprechen? – Sollten Sie mit Hülfe Ihrer Bekannten, sich nicht für uns in Wien, Berlin, Mainz und Offenbach verwenden können. Könnten Sie nicht vielleicht in Ihrer Zeitung darauf aufmerksam machen, daß der wirklich sehr bedeutende Schatz unserer Singakademie (wir haben die größten Meisterwerke in ausgeschriebenen u gedruckten Stimmen besessen.) total ein Raub der Flammen geworden ist und daß uns große Erleichterungen im Ankauf, aus einer wirklich argen Verlegenheit retten würden. – Lieber Freund seyn Sie mir nur nicht böse, wenn ich Ihnen diese Angelegenheit recht dringend ans Herz lege, Sie erzeigen uns Allen damit einen so großen Dienst, mir ganz besonders, denn Schatz, denken Sie einmal, was soll ein Bibliothekar ohne Bibliothek und bei so geringen Mitteln, wie wir sie besitzen? – Bitte lassen Sie mich recht bald ein Näheres hierüber wissen. – Soll ich auch selbst mich an einige Verlagshandlungen wenden? – Sehr gut wäre es, wenn wir Cataloge von Kirchensachen könnten von den verschiedenen Verlagshandlungen zugeschickt erhalten.
|3| So, damit wäre ich nun fertig und gebe es freudig in Ihre Hände, bester Mensch aber machen Sie mir kein saures Gesicht dazu, – in solchen Zeiten der Noth bedarf es außergewöhnlicher Mittel, Sie wissen und müssen mir auch darum nicht böse seyn, ich habe Sie wirklich zu lieb, als daß ich es um dieser Liebe willen verdiente, daß Sie einen Groll auf mich hätten.
Und nun lieber Freund entschuldigen Sie dieses schlechte Schreiben, es ist in so großer Eile geschehen, weil es gleich Zeit zur Post ist und ich den Brief gerne <>heute noch mit forthätte.
Meine Frau grüßt Sie und Ihr liebes Menschenkind recht herzlich, ich ebenfalls, wir reden so oft von Ihnen, Ihr Besuch war uns ordentlich eine Epoche in unserm Leben.
Ihr
Theod. Avé Lallemant.
Hamburg den 18t Juni 1842.
|4| Herrn Doctor R Schumann
berühmter Componist
in
Leipzig.
frco














  Absender: Avé-Lallemant, Theodor (121)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 24
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Norddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Thomas Synofzik, Ute Scholz und Arend Christiaan Clement / Dohr / Erschienen: 2025
ISBN: 978-3-86846-034-6
98-102

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 13 Nr. 2275
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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