Ofen den 25ten August 1839
Werthester Herr Redacteur!
Daß ich Ihnen schon so lange nicht schrieb mögen Sie damit entschuldigen weil sich musikalische Neuigkeiten hier nicht so sehr drängen die es nothwendig machten darüber schnellere Berichte einzusenden. Demungeachtet war das heurige Musikleben vielfacher als sonst gestaltet und darüber schicke ich Ihnen diesen mehr allgemeinen als ins Einzelne gehenden Bericht.
Musikleben in Ofen und Pesth.
In unserer Musikwelt ging es diesen Winter ziemlich lebhaft her, nicht nur daß wir in den Kirchen, Theatern und andern Vereinen viel Musik hörten und mitmachten, sondern es kamen auch fremde Künstler bedeutend mehrere als in früheren Jahren, uns mit ihren Leistungen zu erfreuen wogegen wir aber auch nicht ermangelten sie mit reichlichem Antheil und Beifall zu unterstützen. Sie konnten daher auch mit uns mehr als in der Residenz woher sie meistens kamen zufrieden sein.
Kirchenmusik.
In der Haupt-Pfarrkirche zu Ofen ging es seinen gewöhnlichen Gang. Es wurden daselbst am Charfreitage die Sieben Worte von Haydn mit guter Besetzung und gehöriger Zusammenwirkung gegeben, welcher Aufführung Viele aus allen Ständen die an diesen Tag das Grab Jesu besuchen, beiwohnten; und wie ich mich überzeugte die meisten gerührt und auferbaut von den herrlichen Tönen unseres guten und frommen Haydn von dannen gingen. Es wird mich sehr freuen, wenn ich die Ge-|2|legenheit haben werde Ihnen viel Gutes von den Musikaufführungen unseres Chores auch in Zukunft berichten zu können. Zu St. Elisabeth in der Wasserstadt werden seit einer Zeit besonders aber Herr Kreutz ausgezeichneter Kunstfreund auch als Compositeur in der Musikwelt sehr vortheilhaft bekannt, der Leitung des Chores vorsteht, die schönsten Messen oft sehr gelungen aufgeführt. Auch in der Pesther Haupt-Pfarrkirche gibt sich Herr Bräuer, der an die Stelle des Herrn Cibulka kam, sehr viele Mühe die Kirchenmusik, die sich dort nicht in dem besten Zustand befand, zu heben.
Musikverein
Der Musikverein gab in diesem Winter sechs Concerte in welchen eine Cantate componirt von Herrn Winckhler und aufgeführt zum erstenmal in einem Concerte zum Besten der in Waßer Verunglückten, wiederholt wurde, die wegen ihren gefälligen wenn auch nicht immer neuen Gedanken und wirksamer Instrumentirung lebhaften Beifall erhielt. Damit sich die die◊1 Cantate auch Anerkennung von Kunstfreunden Kunstkennern erwerben sollte, müßte sie mehr Eigenthümlichkeit und Charakter besitzen. In andern Concerten wurden die Pastorale und Eroica von Beethoven <aufgeführt. Die Simphonien Beethovens> diese gigantischen Werke deutscher Instrumental-Musik mit anerkennungswerther Vollendung aufgeführt. Die Simphonien Beethovens müßen aber glaube ich nicht nur mit gehöriger Richtigkeit in technischer Hinsicht sondern auch mit vollem Verständniß und Darstellung der Ideen in ästhetischer Hinsicht gegeben werden, um so mehr da man diese Simphonien hier noch sehr wenig auch nicht am besten ausgeführt hörte, daher auch nicht viel Sinn für diese Musik hat. Denn nur durch die in jeder Hinsicht vollente Aufführung ist es möglich, das Puplicum dahin |3| zu bringen, daß es diese Werke zuerst gänzlich verstehen und sodann mit Genuß anhören könnte. Im sechstem Concerte hörten wir das Weltgericht von Schneider welches wegen seiner mangelhaften Aufführung nicht den Antheil den es verdienst hätte, gefunden hat. Die übrigen Concerte bestanden aus Bruchstücken von größeren Werken, oder Concertstücken für einzelne Instrumente welche der Verein zwar wieder ihrem Zweck dem Buplicum in zu großer Anzahl vorführt, da hier nur solche Werke die man wegen ihrer massenhaften Aufführung an anderen Orten nicht so leicht <gehört> hören kann, zu dem eigenen Vortheile des Vereins sowohl als zum vorgehabten Zweck der Bildung des allgemeinen Musiksinnes gegeben werden sollten.
Concerte, Virtuosen
Von hiesigen Künstlern gab Herr Wagner erster Violincelspieler des deutschen Theater ein sehr interessantes Concert worinnen nebst der Ouverture zu Fidelio in Cdur der erste Satz und das Andante der Adur Simphonie vorzüglich gut vorbetragen hörten. Daselbst spielte auch Herr Menter damals gerade anwesend, um Concerte zu geben von ihm componirte Variationen mit ungeheurem Beifall. Herr Erkel erster Kapelmeister am ungarischen Theater und ausgezeichneter Clavierspieler spielte eine Fantaisie von Field mit vieler Bravour und Rundung nur hätte ich noch mehr Ausdruck und Charakter dazu gewünscht. Madam Schodel erste Sängerin vom ungarischen Theater sang ein an sich unbedeutendes Lied von Lachner mit vieler Anmuth. Nebstdem gaben Herr Jaborzky erster Violinspieler, Herr Pfeifer Flötist, Herr Preißer Clarinetist vom deutschen Theater ziemlich stark besuchte Concerte. Von auswärtigen Künstler besuchten uns die Gebrü-|4|der Moralt gaben mehrere Unterhaltungen und erwarben sich durch ihr exaktes Zusammenspiel, wo ich aber dennoch mehr Eindringen in den Geist der Komposition besonders Beethovenscher Quarteten gewünscht hätte, lebhaften und reichlichen Beifall. Herr Menter bairischer Hofmusiker gab ebenfalls mehrere brilliante Concerte in denen ihm wegen feines, vollen Tones, außerordentlicher Fertigkeit in allen Lagen und Wendungen und geistreichen Vortrages reicher ja zu sagen enthusiastischer Beifall gezollt wurde. Es war eben auch ein Vergnügen seinen lieblich vorgetragenen Adagio’s zu lauschen, sich von den Tönen des Violoncell’s welches die meiste Ähnlichkeit mit der menschlichen Stimme haben erregen zu lassen, und mit den Sänger Leid und Freud zu theilen. Fräulein Rothmayer Pianistin aus Wien gab auch einige zwar minder besuchte Concerte und bewies sich als eine in der Ausbildung schon weit vorgeschrittene Künstlerin zu deren Vollendung aber noch Manches überbleibt. Der junge ta<l>lentvolle Schäfer Dimitrief spielte in Hinsicht seines Altes wirklich schön und ausdrucksvoll, gewann sich deshalb auch vielen Beifall. Herr Menter, Fräulein Rothmayer und Schäfer Dimitrief erhielten die höchste Einladung in der Hof-Soiree bei Seiner k. k. Majestät des Reichs Palatin in Verein mit mehreren höchsten und hohen Kunstfreunden zu spielen, um auch da sehr schmeichelhafte Anerkennung ihrer musikalischen Fähigkeiten zu erhalten. Endlich lasen wir in allen Zeitungen die ungeheuren Erfolge des Violin-Virtuosen Ole Bull und die Absicht nach Pest zu kommen um den heurigen Concert<en dem>-Jahre die Krone aufzusetzen. Mit größter Erwartung gingen wir in das erste Concert und waren ganz erstaunt besonders ich der den Paganini nicht gehört hat über die außerordentliche Neuheit, und Sonderlichkeit, stupende |5| Bravour und Eigenheit, Kraft und Zartheit, Lieblichkeit und sein [?] schauerliches Wesen in seinem Spiel und Composition so zwar daß wir ganz verblüfft noch nicht recht wissen konnten, was aus All diesem zu machen sei, schenkten ihm enthusiastischen Beifall riefen ihn mehrmal und nahmen uns vor in das nächste Concert zu gehen, wo wir mit uns über sein Spiel und Composition mehr einig zu werden. Im zweiten Concert wunderten wir uns daß er nicht mehr so als das erstemal entzückte, im dritten überzeugten wir uns wenigstens ich mich daß <es> besonders seine eigene Spielart es ist welches diejenigen besonders die den Paganini nicht hörten für das erstemal so außerordentlich bewundern, und daß die Zerrissenheit seiner Compositionen die keine<n> dauernde<n> Leidenschaft erregen können da sie den Zuhörern mit einem Bogenstrich oder Paukenschlag plötzlich in die entgegengesetztesten Gemüthszustände versetzen besonders daran schuld ist daß man seine Leistungen im Augenblicke der Begeisterung wohl anstaunt und bewundert, sie aber danach keinen dauernden Nachhall zurücklassen. Die strengen Generalbasisten sagen deßhalb auch daß dies Alles nur mühsam eingelernte Bravoursachen sind welche er in Stücke zusammenstelte, um sich dafür bei dem leicht zu blendenden Puplicum Geld und Beifall zu erhalten, mithin seine ganze Spiel- und Compositionsart nur äußerer Schein ohne inneren Gehalt <sei> ist. Ich meinerseits glaube daß ein Künstler welcher sich einmal solche Fertigkeiten erworben hat, immerhin auch fremde Compositionen mit der ihnen gebührenden Vollendung vorzutragen, und daß ein Künstler in dessen Compositionen sich an mehreren Orten wirklich höchst geistreiche Gedanken vorfinden, sobald er sich ernsthaft zur Composition wenden wird befähigt sei auch |6| Werke <die> welche die Kunst fördern und die allgemeine <Anerkennung> Achtung verdienen zu schaffen.
Theatermusik.
Außer einigen Wiederaufführungen älterer Opern und etwas zu oft Wiederholungen neuerer Opern wurden nur die Hugenotten von Mayerbeer hier mit einen ganz andern Sujet unter dem Titel „Die Gibelinen in Pisa“ vorgeführt. Da wir in den Zeitungen über diese Oper sehr viele mitunter verschiedene und widersprechenden Urtheile gelesen haben, gingen wir mit größter Spannung in das Theater um uns von deßen Wirklichkeit selbst zu überzeugen. Von einem Zusammenstellen des Sujet mit der Musik und einem Erwägen inwiefern die Musik mit den Charakteren und Situationen dieser Oper übereinstimme kann hier natürlich keine Rede sein, da die Handlung selten passend sehr oft aber ganz entgegengesetzt zur Musik erscheint, so daß man es komisch finden muß wie ein italienischer Parteiführer den großen und erhebenden Hochgesang der Protestanten welcher zur damaligen Zeit in Italien gewiß noch wenig bekannt war, alle Augenblicke und zwar ganz unnöthig heruntersingen hört; diesem Übelstande abgerechnet enthällt diese Oper besonderes viele imposant wirkende Chöre, die freilich mitunter etwas zu barok und geschraubt instrumentirt sind. Die Soloparthien sind minder bedeutend da sie weniger gefällige Gedanken haben, weniger hervortretend, sondern mehr zerissen [sic] und gar sonderlich und gezwungen gedacht sind. Wegen der Nichtübereinstimmung des Buches mit der Musik, wegen der Sonderlichkeit und Zerrissenheit und daher Mangel an Totaleindruck konnte sich diese Oper nicht den allgemeinen |7| Erfolg erwerben wie Robert der Teufel oder Crociato. Die Oper wurde übrigens von Seite des Orchester, den hiesigen Sängern besonders aber Fräulein H. Karl ausgezeichnet dargestellt und seitdem mehrmal wiederholt. Von fremden Sängerinnen gastirten hier M. Heinefetter welche sich wegen ihres anmuthsvollen Gesanges und ausdrucksvollen Spieles wegen sehr viele Verehrer gewann. Von Sängern Herr Erl welchen das Puplicum hier noch als Anfänger kennt, da er eben so wie im Gesange als im Spiele ein schon weitvorgeschrittener Künstler ist, ihm mit vielen Beifall überhäufte. Im ungarischen National-Theater wurde eine erste ungarische Oper Csel (: die List :) Buch von Jakob Musik von Bartay gegeben. Die Handlung zu dieser Oper ist nicht neu noch besonders anziehend, da sie größtentheils eine Nachahmung des Barbier von Sevilla ist, und die darin vorkommenden Charaktere schon gar oft gesehen und verbraucht sind. Herrn Bartay ist in der hiesigen Musikwelt ein geschätzter Kunstfreund der schon mehrere Werke neuster Gattung geschrieben hat, welche sich wegen ihrer schönen Dichtung freilich zu sehr den älteren großen Meistern entsprechend und tüchtiger Bearbeitung allgemeiner Anerkennung sowohl von Freunden als Kennern der Kunst erworben haben. Da die ernste Musik es hauptsächlich ist in welcher er wirklich schätzenswerthe Werke zu liefern im Stande ist, wunderte es mich sehr, als ich vernahm daß Bartai die Musik zu einer komischen Oper geschrieben habe, weil dieß aber die erste National Oper war, mußte ich als guter Patriot das Beste <hofen>erwarten. Leider fand ich meine Erwartungen nicht <erfüllt> ganz und meinen Voraussetzungen <ziemlich> nur zu sehr erfüllt. Die Musik bloß als solche genommen ist im allgemeinen gewieß lobens- und anerkennungswerth, und obwohl sie zu wenig bestimte, neue, und für eine komische |8| Oper zu wenig leichte, und einschmeichelnde Gedanken enthält, glaube ich doch daß der Compositeur welcher bisher in seinen verschiedenen Werken viel Talent und Handhabung der Instrumente beurkundet hat befähigt sei zu einer ernsten Opern eher als komischen Oper eine gelungene Musik zu schreiben. Ich wünschte daß er sich je eher an eine solche machen möchte, um die Hoffnungen die man sich von ihm in Hinsicht der Förderung der National-Oper macht zu rechtfertigen. Die Oper ward von Seite der Direktion glänzend ausgestattet, zahlreich besucht, mehrmal wiederholt, und mit vielen besonders aber der zweite Akt wegen seiner volksthümlichen Anklänge mit allgemeinen Antheile aufgenommen. Der Componist gedenkt die Oper in Clavierauszug heraus zu geben. Es ist ihm guter Erfolg um so mehr zu wünschen, da bei der Abwesenheit vieler Herrschaften wegen des Reichstages, theils aber daß man hier italienische und französische Modemusik zu sehr liebt um einheimische Musik <zu> anzuerkennen, oder gar zu unterstützen, der Verfasser auf keinen großen Absatz rechnen kann.
Dies wäre so ziemlich ein allgemein zusammengefaßter Bericht den ich Ihnen über das diesjährige Musikleben zu schreiben hätte. Wenn ich Manches vielleicht übersah, mögen Sie es damit entschuldigen, daß ich mich nicht so sehr mit Einzelheiten und Persönlichkeiten befasse – als mit einer allgemeinen Auffassung und übersichtlichem Zusammenhange der Thatsachen.
A Löschinger
Es wird mich sehr freuen wenn ich von Ihnen bald ein Schreiben erhalten werde.