23.01.2024

Briefe



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ID: 5788
Geschrieben am: Montag 03.10.1842
 

Dresden, Amalienstrasse No. 8.
Am 3. October 42.
Verehrtester Herr und Freund!
Ihre vorgestrige kurze Zuschrift begegnet eigentlich dem hier Beiliegen¬den, welches ich am selben Tage für Sie mundirte, und welches nun in Ih¬rer aufmunternden Güte hier Rechtfertigung findet. Von den „Miscellen“ können Sie ja hinweglassen, soviel Ihnen gut- oder vielmehr übel- dünkt. Zu Annahme der Anweisung wird Herr Meser wohl umso geeigneter sich finden lassen, je zeitiger sie, ihrem Datum nach, ihm schon angekündigt worden seyn mag; im gegentheiligen Falle würde ich das Gegenwärtige wieder öffnen und Ihnen das Mißlingen anzeigen.
Sie verlangen nach Ihrer gewohnten Gewogenheit wieder „baldige Mittheilungen“. Meinen Sie dabei aber auch das currente Musikalische über unser Städtel (ich hätte bald geschrieben: über unser Krähwinkel), so muß ich dießmal wohl depreciren, theils weil der Sommer eine sterile Zeit ist, von welcher noch überdieß die Excursionen mir manch günstiges Moment raubten, theils weil ich dabei leicht mich in das Gebiet der Kri¬tik verlaufen könnte. Dieses aber muß ich sorgfältig meiden, wenn nicht wieder ein Anonymus, wie gegen Ende Augusts im Kometen, mir den gelinden und ohne Zweifel sehr wohl gemeinten Hieb zutheilen soll, daß ich gar nichts von Musik verstehe, und in den Tag herein schreibe. Somit haben |2| Sie sich für öffentliche Mittheilungen in mir an den ganz Un¬passenden gewendet, und Sie werden, denke ich, wohl thun, wenn Sie den Anonymus zu erforschen und zu gewinnen suchen; es läßt sich ihm eine scharfe und treffende Kritik wohl zutrauen.
Dagegen kann ich wohl für Ihre persönliche Kunde das und jenes radotirend besprechen. In des Octobers Mitte löst sich die vom Wirthe auf der Terrasse errichtete Capelle (der ich, wissen Sie, keinen langen Be¬stand prophezeite) schon wieder auf. Die Musik übernimmt Herr Har¬tung, vielleicht in Abwechselung mit dem Chor der Communalgarde. Hierbei lassen sich regerer Eifer der Exsecutirenden und mehr Manchfal¬tigkeit erwarten. Der Wirth konnte freilich durch Notenkauf für letztere nicht hinlänglich sorgen, und das Publicum mußte viele Stücke wöchent¬lich 4 mal hören. Herr Adam ist, nach Verhältniß der Erfordernisse, gar kein übler Director; nur paßte seine Stellung für ihn nicht, indem seine Untergebenen sich ihm gleich – ja wohl gar, weil er kein Orchesterinstru¬ment spielt, über ihn – stellen wollten. Somit schwand seine Laune, und er dürfte wohl gegen die bevorstehende Veränderung wenig einzuwenden haben. Manches hörte man in der That recht gut vortragen, wenn auch zum Theil in einem unpassenden Tempo (z. E. die erste Kalliwoda’sche Symphonie viel zu rasch abgejagt); aber das ewige Ableiern derselben Stücke mußte nothwendig den jetzt obwatenden Leichtsinn der Musiker herbeiführen.
In dem höchst geschmackvoll decorirten obern Saale des Locals ist das Orchester leider noch fehlerhafter gebaut, als das untere: zu winkelig und zu verbaut, um den Ton in den Saal |3| herauszulassen, zu hoch an¬gebracht, zu niedrig, zu eng für ein vollstimmiges Orchester, und – das ist das Allerschlimmste – nicht abzuändern, was beim untern einigermassen möglich wäre. Infolge einer Probe behaupten die Musiker, es lasse sich unmöglich darin spielen, weil kein Spielender seine Töne von den frem¬den zu unterscheiden vermöge. Daß doch die Baumeister nimmermehr ein Bißchen Akustik studiren wollen, um sich vor so argen Verstössen zu bewahren! Der Wirth ist von mehreren Musikfreunden gewarnt worden genug; aber gegen seine mir gethane Zusage hat er dem Baumeister kei¬nen Einspruch gethan.
Aus den Zeitungen wissen Sie wohl die erfreulichen Erfolge der zahlreichen Concerte für das Beste der in Hamburg, Ehrenfriedersdorf, Camenz, Oschatz und Sayda Abgebrannten. Besonders schöne Aufop¬ferung hat das Hartungische Corps gezeigt. Das für Camenz im grossen Garten gegebene Concert brachte 433 rh. ein, und also merklich mehr, als das zum nämlichen Zwecke von der Capelle im Theater gegebene, wo man – freilich ein bedeutender Mißgriff – dieselben Sachen wieder auftischte, die wir kurz vorher im Palais des grossen Gartens gehört hat¬ten. Auch die beiden Sängervereine ärndteten bei einem jener Concerte verdienten Beifall. Doch hat nach Verhältniß wohl kein Chor bei diesen Gelegenheiten seinen Ruhm so fest begründet, als – Sie werden es viel¬leicht ┌nicht┐ erwarten – die Trompeter der Reitergarde. Noch höheres im Trompeten-Ensemble wird sich wohl in keiner andern Armee zeigen, und auch alle Fremde stimmten darin ein, in diesem Genre nie etwas Aehnliches gehört zu haben. Namentlich ist der |4| noch ziemlich junge Stabstrompeter, auf dessen Namen ich im Augenblicke mich nicht – doch ja, er heißt Wölfel oder Wölfl, und ist eigentlich früher ein Waldhornist gewesen – nicht allein ein Bläser vom ersten Range, sondern auch ein guter Lehrer und ganz firmer und exacter Director, seitdem der Obriste v. Gottschalck ihn auf eigne Kosten <hat> mehrere Bildungsreisen, insbe¬sondere in die österreichischen Garnisionsorte, hat machen lassen.
Als Dotzauers 2te Misse, in F, vor 2 Jahren gegeben worden, bin ich auf dem Borsberge gewesen; daher hörte ich sie gestern zum ersten Male, und zwar wirklich mit vieler Freude, indem sie sehr gemüthlich, keineswegs mit gesuchter contrapunctischer Gelehrsamkeit (obwohl es an Kunst darin keineswegs fehlt) zum Herzen spricht. Mehr davon will ich heute nicht sagen, theils weil so ein Werk doch allemal erst wieder¬holt gehört seyn will, theils weil ich am Ende doch wieder Gefahr liefe, die Stimme zu wecken, daß ich von Musik gar nichts verstehe; denn ich kann mir ungefähr denken, woher sie erklungen ist. Uebrigens bin ich mit derselben selbst auch einverstanden darin, daß v. Miltitz’ns Schweigen bedauerlich ist; denn wenngleich ihm hier und da ebenfalls Menschliches widerfuhr, so blieben seine Urtheile doch stets belehrend, geschmacksvoll und bescheiden.
Der Casanova macht hier kein Glück, und wird gänzlich zurückgelegt werden; doch hat daran ohne Zweifel der Dichter die Hauptschuld, min¬der der brave, gemüthliche und erfindungsreiche Componist.
Das Papier geht zu Ende, nie aber die Ergebenheit
Ihres
treuen Dieners und Freundes
Albert Schiffner

  Absender: Schiffner, Christian Albert (1340)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
523-527

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 14 Nr. 2366
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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