Berlin d 8ten Juny 1839.
mein theurer [Freun]d!
Ueber eine Woche von Berlin abwesend, empfange ich [Ihre]n Brief vorgestern; Ich beeile mich Ihnen die Fortsetzung des Aufsatzes zu senden, worin ich mich so kurz gefaßt als möglich, u. auch gut ist, um der Sache ein Nachwort mitgeben zu können. Die Fortsetzung schicke ich Ihnen nächste Woche, also in 5–6 Tagen. Hinsichtlich des Adagio’s hatte ich mich in der Erinnerung geirrt, als ich schrieb, daß es mir unklar wäre; ich meinte wahrscheinlich was anderes, mir jetzt nicht beifallendes. Gleichzeitig erhalten Sie einen Gesang für die Beilagen; d. h. sehen Sie sich ihn an, ob er was werth ist, was ich kaum glauben kann, da ich[noch] nie was dergleichen geschrieben, u. man in jedem Fache einen ersten mißlungenen Versuch machen muß. Der Text ist gewiß noch nie componirt, aber auch so tief, daß ich lieber ein ganzes Quartett darüber schreiben könnte als einen Gesang. Sollte derselbe also was taugen bis auf einiges vielleicht, so muß ich ihn wieder haben zur etwaigen Abänderung (da ich in der großen Eile keine Abschrift davon nehmen kann), taugt er aber nichts, so zerreißen Sie ihn, u. ich schicke Ihnen was andres, gewiß besseres. Meine Zeit ist durch Proben halböffentlicher Aufführung meiner Composition so heute u. gestern beschränkt gewesen, daß ich zum komponiren nicht mehr Zeit hatte; aber nun geht’s wieder. Die Adresse der Bettina ist: Baronin v. Arnim geborne Brentan de la Roché, unter d. Linden No 21; nach Erkundigung ist sie gegenwärtig hier, wie lang, kann ich freilich nicht wissen. Die 3 neuen Quartette müssen Sie erhalten haben. Op. 17 werde ich durchsehn, so bald ich es erhalten kann; daß Sie Quartette schreiben wollen, freut mich, es ist das einzige Fach, worin man noch eine allgemeinere Wirkung erlangen kann; denn Sinfonieen sind schwer zur Aufführung zu bringen, u. nur einem sehr beim Publikum berühmten Autor zu schreiben vortheilhaft. Publikum = Concertpöbel. Am schwersten ist ein rein humoristisches Quartett zu schreiben, wenigstens in so großer Ausdehnung, wie ich es liebe; eins z. B. im Character der Beethov. A dur Sinfonie vielleicht unmöglich, weil man riskirt zu haydnsch, d. h. zu oberflächlich zu werden. Man muß es selbst versuchen, um diese Klippe kennen zu lernen. Wieder umgekehrt ist das Septett am leichtesten humoristisch oder heiter behandelbar. Auch bemerke ich, daß junge, feurige Musiker von Tonsätzen heroischen Charakters also Mollsätzen weit mehr eingenommen werden, als von den auch gelungensten Dursätzen. Freilich, großartiger ist’s. Von mir verlangt man hier lauter dämonisches; was hintereinander zu erfüllen unmöglich. Mich reizt nur das Höchste in der Erfindung u. Intention, u. ich liebe freilich auch aus innerster Natur das Dämonische. – Von Berlioz habe ich einiges gesehn, trau mir also kein Urtheil zu, bevor ich gehört; aber aufgefallen sind mir Rossiniaden, rein italienische melodische Absurditäten, die gespielt doch auch nicht anders klingen können. Ueber eine Novelle will’ ich nachdenken; so was ist sehr schwer, denn bloße Fantasie, ohne tief bewegenden [u.] Wahrheitsgehalt passen wohl für den, der selbst nichts practisches leisten kann, nicht aber für einen Componisten; meine besten Novellen sind meine [Quarte]tte, Sinfonien etc., u. sollen es auch bleiben; doch wie gesagt, ich werde darüber nachdenken, u. mein [möglichstes(?)] thun. Tieck hat nur eine schlechte musikalische Novelle geschrieben, u. ist unser größter jetzt lebender [Dichter, ve]rsteht freilich aber nichts v. Musik. Eine Reise zu machen habe ich keinen Grund, da ich nicht weiß, was ich da[mit bez]wecken könnte. Freilich nach der Schweiz möchte ich mal; doch unser ganzes Leben ist ja nur unerfüllte Se[hnsucht,] ich komme auch wohl noch mal hin, wenn ich leben bleibe, gewiß!
Ihr un[wande]lbarer Freund Hirschbach
Sr Wohlgeboren
Herrn Componist Robert Schumann.
Redacteur d. neuen musikalischen
Zeitung.
in
Leipzig
frei
[Beilage]
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