23.01.2024

Briefe



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ID: 5943
Geschrieben am: Sonntag 14.04.1839
 

Cassel den 14ten April 1839.
Wenn unsere Posaune von der hiesigen Tonbühne so selten ertönt, so sind gewiß die heuer obwaltenden Verhältnisse, dann aber auch unsere Örtlichkeit, durch vielseitige Echostellen dem Ausposaunen hinderlich, Ursache. Mehr als je ein Anders so pflegt man die Musik, früher größ tentheils Familiensache jetzt allgemeine Volkssache. Ein neuer Verein hat sich im Laufe des verflossenen Jahres constituirt; der Choral general aus Jünglingen bestehend, welche sich unter Leitung des Musiklehrers Wiegand überhaupt im Gesange ausbilden, und durch den Vortrag einstimmiger Choräle und andern Gesängen sich unterhalten. Wir wünschen dem Institut das beste Gedeihen.
Concerte der verschiedenen Gesangvereine.
Die Singaccademie gab zum Besten der h. Armen bei übervollem Saale – Christus am Öhlberge von L v. Beethoven und die Auferstehung Jesu von J. Wiegand mit vielem Beifall. Der Cäcilienverein erfreute uns mit einem Psalm von Fesca[,] 2 doppelchörigen von Spohr, mehreren Sätze von Hauptmann und einem altkirchlich klingenden von Carl Marie Clara. Von der Liedertafel hörten wir: eine Motte von B. Klein „Der Herr ist König“ einen herrlichen Psalm vom verstorbenen Hoforganisten Herstell „Dem Herrn gehört die Erde“, den ersten Theil aus Löwe’s Oratorium „Die eherne Schlange[“], ein Notturn von Blum u mehre kleine Piecen |2| von verschiedenen Compositionen. Abonents Concerte der kurfürstl. Hofcapelle Beethovens Adur Symphonie, die 4te von Spohr, und eine Jagd-Symphonie von Kittl in Prag Aufruf, Jagd, Ruhe, Gelage, Schluß der Jagd zur Bezeichnung. Ouvertüre: Erste Ouvert. zu Fidelio (zum ersten Mal), Mendelssohns Sommernachtstraum und Fingalshöhle, und eine von Reisiger. In dem letzten der 4 Abonentconzerte setzte uns Spohr durch den Vortrag einer neuen Composition „Sonst und Jetzt“ betittelt in ein Entzücken. Der ihm gezollte Beifall nahm kein Ende. Se Hoheit der Kurprinz und Mitregent, der dieses Concert durch seine hohe Gegenwart beehrt hatte, nahmen den lebhaftesten Antheil daran. Spohr feierte seinen Triumpf über Ole Bul [sic], indem er uns nicht allein seine Größe als ausübender und noch mehr als schaffender Künstler wieder einmal zeigte. Die Komposition, interessant, edel und schön, besteht aus zwei Sätzen: der erste (a-moll) im Bachschen Stiele, giebt uns ein Bild der alten, biedern classischen Zeit; der zweite a-Dur copirt die neue Zeit mit ihrer Frappanz durch zerrissene Figuren aus Ole Bulls Rondo a la zingaresca[?] in A dur und mahnt uns zugleich durch verwebte, edle Zwischen Sätze der Wahrheit treu zu bleiben.
(Spohr ist von dem accademischen Verein genannt Cäcilia in Rom zum Ehren Mitglied ernannt, auch zu dem im Laufe des diesjährigen September Monats in Norwich stattfindenden großen Musikfeste berufen, um sein dort aufgeführt werden |3| sollendes Oratorium „Des Heilands letzte Stunden“ selbst zu dirigiren.)
Aus◊4 demselben Concerte müssen wir noch einer Composition erwähnen, die Fantasiereich und frisch zugleich ist, um sie der allgemeinen Beachtung für sehr werth zu halten; obgleich der Raum der Stimmführung zu beschränkt scheint, als daß man, dem Inhalte des Textes gemäß, die Wahrheit ausdrücken könnte „Schillers Ode an die Freude[“] für 4st. Männerchor mit Solis, von unserm geschätzten Musikdirector Baldewein, dessen Werke wenig oder gar nicht bekannt sind, und von denen wir wünschen, sie bald der Öffentlichkeit zu übergeben (die Chöre „Froh wie seine Sonnen fliegen“ „und Duldet muthig Millionen“ gut vorgetragen sind von entschiedener Wirkung. Am effectvollstem ist der Chor „schließt den heiligen Cirkel“. Und somit sagen wir unserer Cappelle für die herrlichen Genüsse unsern besten Dank.
Im Theater war das neueste: Adam’s Oper „zum treuen Schäfer“ und Donizettis Liebestrank. Und ein Schauspiel mit einer frischen und schönen Musik von 4 hiesigen Componisten Spohr, Hauptmann, Baldwein und Grenzebach. Spohr hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt durch die Ouvertüre und das Finale. „Der Matrose“ aus dem Französchen von dem hiesigen Regisseur der Oper, Birnbaum bearbeitet und wird Theatern Deutschlands eine freundlich willkommene Gabe seyn. Pfingsten gibt es Adams „Brauer von Preston“ und sodann zur Einstudirung der Hugenotten geschritten.
Von fremden Künstlern außer Ole Bull, über dessen Spiel wir uns kein Urtheil erlaubten, zu mal da er nur seine eigenen Compositionen vortrug, die Pianistin Girschner aus Berlin und Rose aus Hannover; Robert Schumann wird noch mit mehr Sehnsucht erwartet von
J. N. Endter.

  Absender: Endter, Nikolaus (40509)
  Absendeort: Kassel
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 26
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka, Thomas Synofzik, Eva Katharina Klein und Michael Beiche / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-051-3
267-272

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 8 Nr. 1241
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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