23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 6226
Geschrieben am: Freitag 17.05.1839
 

Verehrtester Freund.
Obgleich ich mir vorgenommen hatte, Ihnen nicht mehr in dieser un¬glücklichen Angelegenheit zu schreiben, indem ich schon aus Ihren letz¬ten Briefen entnehmen konnte, wie sehr Sie Clara verkannt haben, kann ich doch Ihren soeben erhaltenen Brief nicht ohne Antwort lassen. Daß Sie Clara’s Brief tief betrüben mußte, sah ich voraus, daß er Sie aber so ungerecht machen würde, hatte ich nicht erwartet u ich kann es nur dem zuschreiben, daß Sie noch gar nicht wissen, wie Clara Sie liebt; wüßten Sie es, könnten Sie ihr nicht solche Vorwürfe machen. Gewiß, es ist nicht recht von Ihnen, daß Sie Clara so hart behandeln; ihr nicht ein einziges Wort geschrieben; Sie wissen nicht wie sehr sie dieß betrübt u angreift. Auch bin ich überzeugt hatte es Ihnen viele Ueberwindung gekostet; ge¬stehen Sie es gleich – sonst haben Sie mich zur ewigen Feindin. Sie sagen, Clara mache unbillige Ansprüche, setze kein Vertrauen in Sie; wolle Sie ab¬sichtlich beleidigen. Können Sie dieß glauben, ohne Clara zu verkennen? Nein, ich weiß, Sie nehmen es wieder zurück, was Sie in einem Augenblick der Aufregung u des Unmuths geschrieben haben; geglaubt haben Sie es nie, das weiß ich. Um noch einmal, u hoffentlich das letzte mal, auf die¬sen unglückseeligen Brief zurückzukommen; so thut ┌es┐ mir leid, daß Sie ihn vernichtet haben, denn hätten Sie in [sic] später noch einmal in Ruhe gelesen, würden Sie ihn ganz anders beurtheilt haben. Sie sind von der traurigen Nachricht, die er enthielt gleich so ergriffen worden, daß Sie Alles in einem falschen Lichte sahen, u jedes noch so unschuldige Wort für unzart und beleidigend hielten. Clara hat so viel Vertrauen zu Ih¬nen, um auch von Ihnen Vertrauen erwarten zu können, deßhalb sie auch nicht erst ┌über┐ jeden Ausdruck nachdenkt, ob man ┌ihn┐ nicht allenfalls anders verstehen könnte. Daß Clara immer noch Liebe zu ihrem Vater fühlt, dürfen Sie ihr nicht als Mangel an Vertrauen zu Ihnen auslegen; ich wollte Sie hätten den Brief, den sie an ihren Vater schrieb gelesen; dann würden Sie nicht mehr sagen: sie habe kein Vertrauen zu Ihnen. Hätten Sie gelesen, mit welchem edlen Stolz Clara Sie vertheidigt, mit welcher Achtung sie von Ihrem Charakter, von Ihrem Geist, von Ihrer Liebe zu ihr gesprochen; gewiß Sie würden erröthen vor den |2| Vorwürfen, die Sie ihr gemacht haben. Sie haben nicht bedacht, daß Clara damals, Ihren Brief, worin Sie ihr Alles auseinander setzen, noch nicht erhalten hatte; und daß sie Ihnen den Vorschlag Ihre Verbindung noch aufzuschieben nur machte, weil sie <gar keinen Begriff hatte> nicht wissen konnte, daß Ihre Vermögens Verhältniße so vortheilhaft seien. Ihr Brief hat sie natür¬lich ganz beruhigt, denn ihre Ansprüche sind nicht unbescheiden wie Sie schreiben, aber gewiß nicht glauben. Sie aüßerten neulich, ich habe gegen meine Uberzeugung gesprochen; könnte ich Ihnen nicht mit weit größe¬rem Recht diesen Vorwurf machen?
Glauben Sie denn nicht, lieber Herr Schumann, daß es Clara unzähli¬ge Thränen gekostet hat, bis sie sich entschloß Ihnen dieses zu schreiben? glauben Sie denn nicht, daß es Clara noch unglücklicher gemacht hat als Sie? Aber müßen Sie <sich> Clara nicht noch mehr lieben, daß sie dieses große Opfer ihrem Vater gebracht hat, an den sie doch immer noch geket¬tet ist durch ein Band, das Sie weder brechen können noch dürfen. Herr Wieck hat Clara seine Einwilligung schriftlich gegeben, u will sogar, daß Ihre Verbindung Ostern stattfinden soll. Sie sehen also, daß Clara’s Brief an ihren Vater Ihrer Sache nichts geschadet hat; er sieht ein, daß seine Tochter nie anders glücklich werden kann u will sich fügen. Daß Zeit dazu gehört, die ehemaligen freundschaftlichen Verhältniße wieder herzustellen ┌weiß ich wohl┐, aber ich beschwöre Sie, wenden Sie sich nicht ab wenn H. W. Ihnen entgegenkommt, u glauben Sie nicht Alles, was man Ihnen von Hrn. Wieck sagt; es gibt doch nichts schädlicheres als dieses ewige hin und her tragen. Wie viel weniger Feindschaften gäbe es auf der Welt, wenn man sich sogleich persönlich verständigen könnte. Aber wenn auch H. W. seine Einwilligung zurücknimmt, ist doch Clara fest entschlossen zu Ostern ihre Verbindung mit Ihnen zu feiern; sie hat sich dann doch keine Vorwürfe zu machen bei ihrem Vater nicht Alles versucht zu haben. Das Nähere über Herrn Wieck’s Brief wird Ihnen Clara später mittheilen wenn Sie es wünschen, d. h. wenn sie’s interressirt; ich glaube beinah, daß es Ihnen gleichgültig ist, da Sie Clara nicht einmal haben grüßen lassen. <C> ich bin recht böse auf Sie! Meine arme Clara so zu betrüben!
|3| Gestern war [ein] Concert der Gräfin Sparre, worin Clara ihre Pi¬rat Variationen mit ungeheurem Beifall gespielt hat; man war entzückt von der Composition, des Vortrags nicht zu gedenken. De Beriot spielte zwei Duo mit Osborne, und die Gräfin Sparre, eine ausgezeichnete Dil¬letantin sang mehrere italienische Arien und französische Romanzen sehr schön. Sie sehen ich bin für Ihre Zeitung besorgt. Das Concert war in dem neuen Salon von Pleyel und zur Benéfice einer verarmten Familie aus Martinique; die vornehmste Gesellschaft von Paris war anwesend. Clara hat Jedermann entzückt, und wären Sie da gewesen, hätten Sie gewiß nicht mehr lange böse sein können; sie sah gar zu reizend aus! wie glücklich sollten Sie sein!
Ihr nächster Brief wird hoffentlich ein wenig liebenswürdiger sein. Nein, im Ernst, schreiben Sie keinen solchen Brief mehr, ich hätte ihn Clara nicht zeigen sollen, denn er hat sie zu sehr angegriffen. Clara ist jezt so leidend, daß man sie höchst schonend behandeln muß, und Sie können am Meisten dazu beitragen; sie wieder froh u glücklich zu machen. Ich thue zwar mein Möglichstes, sie aufzuheitern; es gelingt mir aber nicht immer.
Sie schreiben mir: ich gebe an ich achtete Sie; ich möchte so handeln, daß Sie daran glauben. Ich bin mir nicht bewußt, etwas gesagt, gethan, geschrieben oder gedacht zu haben, was diese Angebung verdächtigen könnte. Meine Achtung kann ich Ihnen nicht anders beweisen, als indem ich immer mit der größten Offenheit, u Aufrichtigkeit mit Ihnen rede; und indem ich <Alles> trotz allen Versuchen, die gemacht wurden, mich gegen Sie einzunehmen, in meinem Vertrauen zu Ihnen nie wankend wurde. Ich bitte Sie daher mir zu erklären, in wie fern ich dieser Angebung zuwider gehandelt habe. Es hat mich gekränkt, meine Aufrichtigkeit so verdächtigt zu sehen; indem was ich that nur in der besten Absicht ge¬schah. Nun, wenn Sie ┌sich┐ nur erst wieder mit Clara <im[?]> verständigt haben, da wollen wir beide uns auch <ver[?]> versöhnen.
Mit aufrichtiger Theilnahme und Liebe
Ihre
Emilie List.
den 17ten Mai.
|4| Monsieur Robert Schumann
Redakteur der n. musikal Zeitung
à
Leipzig en Saxe
Allemagne.
Ritterstraße im rothen Collegium.
franco

  Absender: List, Emilie (962)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
98-102

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. R. Schumann 2,52
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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