Hochverehrtester Doctor,
in diesen Tagen wird sich, auf Mendelssohns Veranlassung hier eine größere Liedertafel, aus Damen und Herren bestehend, aufthun, welche zum größten Theile aus Ihnen befreundeten Familien, wie Dr Freges, Seeburgs, Preußers’ u.s.w. bestehen wird. Als wir bei Herrn Preußer gestern zusammen waren um die Sache zu besprechen, wurde von Conzertmeister David und Dr Mendelssohn schon die Ansicht ausgesprochen, daß man sich nicht bloß an die schon gedruckten vierstimmigen Lieder halten, sondern vorzüglich darnach trachten solle, Neues, aber recht Tüchtiges für die Gesellschaft zu gewinnen. Hierauf kam mir der Gedanke, daß es gar hübsch sein würde, die Gesellschaft gleich bei ihrer ersten Zusammenkunft, welche et[wa] in 10–12 Tagen Statt finden dürfte, mit einem kleinen Album neuer sch[ö-]ner vierstimmiger Gesänge zu überrasc[hen,] und so wie ich mich deshalb an Mende[ls-]sohn, David und Gade wandte, von de[nen] ich Beiträge erwarten darf; so erlaube ich mir auch an Sie und Ihre Frau Gemahlinn die Bitte und Frage zu richte[n,] ob Sie mir nicht zu solchem Zwecke Jed[er] ein vierstimmiges Lied ohne Begleitung für Sopran, Alt Tenor & Baß, Ihrer Composition freundlich überlassen wollen.
Meine Bitte ist freilich wohl ein bisschen unverschämt, besonders wenn, wie hier, ein Umstand dazu kommt, daß [ich] günstigen Falles um recht baldige Einse[n-]dung bitten müßte, da ja für Ausschreiben der Stimmen auch Zeit nöthig ist; ich ging aber von der Idee aus, daß Sie wohl schon irgend Etwas dieser Art noch nicht Gedrucktes liegen haben, und daß Sie gern Ihre hiesigen Freunde damit überraschen würden.
So richte ich denn die Bitte vertrauensvoll an Sie und Ihre Frau Gemahlinn, und würde mich außerordentlich freuen wenn ich Erhörung fände.
Mit den schönsten Grüßen und Empfehlungen
Ihr treuer Verehrer
R.[aymund] Härtel
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