23.01.2024

Briefe



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ID: 7320
Geschrieben am: Sonntag 12.09.1852
 


Töss bei Winterthur 12. Sept. 1852.
Kommt es einem mann von bleistift und der palette zu, über musik zu sprechen? Und gar noch zu einem manne, dem persönlich gegenüber der palettenmann ganz gewiss keine sylbe sagen könnte vor lauter glück und freude und begeisterung! – Aber so im stillen stübchen, bei der lampe, wenn draussen der wind die wolken über feld und wald jagt, und so ge¬heimnissvoll hereinrauscht, und die mücken um den lampenschein sum¬men und tönen, da hat unser einer schon mut, und die feder bewegt sich wie magnetisch angezogen in die hand, und im tiefsten herzen fængt’s an sich zu regen, und die blutwellen rauschen fast hörbar, und aus der ferne klingts herüber wie ein Eichendorff’scher mondnachttraum voll nachti¬gallen, kühler gründe und quellenrauschen. – – „Es ist schon spæt, es wird schon kalt.“ … Grosser Gott, da bin ich letzthin im wald herumgestreift bei klarem mondlicht, und sang dieses lied laut und lauter, und mich fror heimlich dabei und ward mir ganz spuckhaft, und ich sangt [sic] es wieder und wieder, und des elfenschauers war kein ende bis ich in’s grüne feld hinaustrat. Da verstand ich Schumann. – Oder wenn ich so einsam herumklettere mit dem skizzenbuch auf der alten burg, und die mittagsglut legt sich breit und schweigend über die erde, – da auch klingts um mich so klar, so laut, dass mir ist, als könnt’ ich die töne körperlich greifen und sie streicheln und liebkosen, die leuchtenden engelein! Und wenn ich mich dann besinne, woher kommen diese klænge? – Ja mein Gott, immer und immer wieder aus der gleichen quelle, die so goldenhell durch die welt rauscht – aus der quelle an der sich die kinder des geistes niederbeugen und sich verjüngen und stærken in der himmlischen flut! – Und das alles sollt’ ich dem manne nicht einmal sagen dürfen, weil ich kein musiker bin? – Schumann, göttlicher Schumann, ich |2| bin ein junger schlichter maler, ein einfach naturkind; wald, wiese und strom sind meine vertrauten, und die blumen an der halde kennen mich alle. – Aber nur wenige menschen lieb’ ich; denn sie sind nicht so gut wie die mutter sie schuf, und ich will Ihnen sagen, meister, wen ich unter den menschen am meisten liebe: die¬jenigen die Schumann lieben. das sind die meinen, und ich habe mich da noch nie getæuscht. – Sehen Sie, auf meinen kreuz- und querzügen hab’ ich vieles erlauscht und erfahren vom wald und von den bergen, und wenn ich so recht heimlich allein war, oder auch mitten im ængstlichen gewühl des marktes, da kamen jene klænge zu mir, und jubelnd erkannt’ ich die geheimen offenbarungen Ihres genius, und nun will ich Ihnen etwas sagen. – Ich habe schon gehört, dass Sie in der musikalischen welt dastehen sollen, wie Pallas Athene’s liebling unter den spatzen, und dass man oft nicht wisse, wohin man Sie placiren solle. – Mein Gott, so ist’s Bettina auch gegangen mit dem alten kalten Göthe, wenn sie ihre gedankenarabesken um seine marmorfrostige stirn schlang – er schüttelte ab den blitzenden glanz und duft und verstand nicht was das „nærrische Kind“ wollte. So ist’s mit Ihnen. Das sind alles kalte starre gelbe schematiker und registratoren, die für jedes gefühl, jede empfindung einen paragraphen, eine schachtel, einen Jean Paulinischen zettelkasten haben müssen, und alles nach namen, ge¬nus, ordo, species und subonbospecies eintheilen und mit dem messer seciren und mit der loupe bedæchtig prüfen & untersuchen. – Und finden sie dann einmal eine wunderblume, die nicht in’s Linné’ische system passt, so schütteln sie das kluge haupt und erklæren sie für abnorm, wo nicht |3| gar für phantasmagorie, ja spuck und Puck. – Ach was, das sind entsetzliche menschen, und die sollte man ernstlich ausrotten, aber leider ist ihre zahl legion. ... Das hat mich schon genug geærgert, ich mach’ es ganz anders und besser, obschon ich nichts von quartsextaccord und geradem und ungeradem und so weiter verstehe. Wenn ich nach tages müh und arbeit bei meinen freunden bin, bei Eschmann oder bei Kirchner, und die leute spielen mir sachen von Ihnen, da zieh’ ich mich ganz leise in ein dæmmernd winkelchen zurück, schliesse die augen und lau¬sche. – Und ich weiss nicht wie es kommt, aber es ist so, wenn ich so recht von den goldenen tonwellen fortgetragen und gehoben werde, – dann ist mir immer, als seien es alte liebe erinnerungen an schon selbst erlebtes, selbst empfundenes im kühlen wald oder auf sonniger heide oder in der tiefe des eigenen herzens. Und dann manchmal kommt eine melodie von wenig tönen, die klingt so herzrührend wie ein süsses süsses mærchen aus alten alten zeiten, wie ein vöglein singen würde das herübergeflogen kæme aus der mærchenwelt. Und was kann ich dann dafür, wenn ich dann glaube ich hætte verstanden wie Sie’s gemeint! – Weiss ich doch, dass ein empfænglich und unbefangen gemüt oft besser das wahre herausfindet als die perückenumlockten gelehrten. Das, theurer meister, ist’s was mich seit dem ersten ton, den ich von Ihnen hörte, so unendlich ergriffen hat und so allgewaltig zu Ihnen mich hinzieht, dass Sie das zauberwort getroffen, von dem Eichendorff singt, wie es in allen dingen schlæft, die da træumen fort und fort. Sie sind der Humboldt der musik und Ihre werke ein idealer kosmos. – Ist’s denn |4| nicht das tiefste wesen der musik, dass sie unsere einsame, vor der rauhen lebensluft schauernde seele hinüberführe in ¬ihre heimat, das unvermittelte vermittle, das ewige ahnen lasse? – Und ist denn nicht der, der ┌in┐ dieser göttersprache zu uns redet, unser liebling, unser Gott, dem unser herz entgegenjubelt, zu dessen füssen lauschend wir ewig weilen möchten? – Und es ist keine poetische phrase, wenn ich Ihnen erzæhle, dass mich Ihre musik oft in einen zustand versetzt, als wær’ ich süssen weines voll! – Ja aber da soll einer auch nüchtern bleiben, Gott im himmel! – Sie geben uns die welt, gelæutert und vergeistigt in den flammen Ihres genius, und dann weht es uns wieder an so still und vertraut wie ein jugendtraum, wie die erinnerungen eines früheren lebens, von denen uns ein griechischer philosoph erzæhlt, die ein nie zu stillendes heimweh in uns erzeugen, und doch wieder jubelnde lust, frohes læcheln unter thrænen. – Ach Gott, gehts mir doch in meiner stillen klause fast so nærrisch, als wenn ich vor Ihnen stünde, und Ihnen das alles sagen sollte – ich möchte nur jetzt einmal ein bischen mehr als mensch sein und des fluches entledigt, in der höchsten lust sprachlos zu sein: Sie wollt’ ich apologisiren, wie’s noch in keiner musikalischen zeitschrift geschehen!! –
Und das alles werden Sie lesen?! – Ja ja, ich geb’ es Ihnen getrost, denn warum sollt’ ich nicht auch in meiner weise einmal dem danken der mir solche feste bereitet, so oft ich seinen tönen lausche – nein nein, ist’s auch nicht so wie ich wollte, so sind Sie liebevoll genug, den willen für die that zu nehmen und ein bischen zu læcheln, dass drinnen in den al¬pen ein mensch seinem Gott dankt, dass Er seine ohren und sein herz so organisirt, |5| um Sie zu verstehen und zu lieben mit aller der treu’ und liebe deren ein schwaches menschenherz fæhig ist. – Und ’s ist ja eben ein grosses glück dass Sie wirklich auch fleisch und bein besitzen und draussen im reich wohnen und nicht, wie ich oft glauben möchte oben ἐν ’Ολυμπου auf wolken thronend als Apollon Musagetes, wohin keine brücke geht als der bogen der Iris und kein dampfschiff als der „Charon“. – Nein nein, theuerster meister, Kirchner hat mir gesagt, Sie seien ein lieber freundlicher mann, und ich dürfe Ihnen wol sagen, wie’s mir um’s herz sei, und wenn ich auch das nicht gehört hætte, es steht ja in jedem tacte Ihrer werke; – und wenn ich Ihnen jetzt zu lange geplau¬dert habe, so messen Sie’s meiner maxime bei, dass man ein glück nicht umstændlich genug geniessen kann, weil’s selten ist & kommt, – und so ein glück ist dieses, Ihnen einmal sagen zu können, dass in vielen dunkeln stunden Ihre musik mein trost, meine erhebung, und in vielen heitern momenten die leuchtende krone meiner freude ist, und dass Sie mit Jean Paul und Beethoven mir einen himmel auf erden erschlossen haben.
Immer und ewig
Ihr getreuster
August Corrodi
maler.

  Absender: Corrodi, Wilhelm August (2160)
  Absendeort: Töss
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Düsseldorf
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
645-649

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 26/1 Nr. 4529
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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