23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 7398
Geschrieben am: Mittwoch 01.05.1839
 

Lieber Herr Schumann. Mit schwerem Herzen, und von mannigfaltigen Empfindungen gedrückt fange ich heute an <mich> mit Ihnen zu spre¬chen. Ach könnte ich nur mit Ihnen sprechen! wie glücklich würde mich dieß machen! Denn dann befürchtete ich keinen Augenblick von Ihnen mißverstanden zu werden; wird es mir schriftlich gelingen? Ich bitte Sie im Voraus, finden Sie einen Gedanken, ◊2einen Ausdruck, ein Wort in mei¬nem Brief, was Sie unangenehm berühren könnte, so verzeihen Sie mir. Nur meine Liebe zu Clara und zu Ihnen [und(?)] der lebhafte Wunsch Sie bald glücklich vereint zu sehen haben mich bewegen können Ihnen zu schreiben. Ich halte es für meine Pflicht Ihnen zu sagen, daß Claras Gesundheit seit einigen Monaten sehr geschwächt ist. Sie ist in einer fort¬währenden Gemüthsbewegung, deren Ursache Sie sich wohl leicht denken können. Sie kennen ja Clara, Sie wissen ja, daß es auf der Erde kein rei¬neres, gefühlvolleres Wesen giebt; muß nicht Clara darunter leiden, ihren Vater so unglücklich zu wissen? Sie haben sich viel über Herrn Wieck zu beklagen; ich weiß, er hat Ihnen großes Unrecht gethan, er hat Sie in sei¬ner Leidenschaft häufig beleidigt, und Ihr Ehrgefühl aufs empfindlichste gekränkt. Ich will ihn nicht entschuldigen, <es ist schwer> aber darum ist nicht minder wahr, daß Herr Wieck sein ganzes Glück auf Clara ge¬sezt, daß er nur für sie gelebt, daß er mit Vernachläßigung seiner andern Kinder und deren Zukunft nur ihr Intereße beförderte, nur ihr Wohl im Auge hatte. Sie haben so viele Beweise von Clara’s Liebe zu Ihnen, daß Sie keinen Augenblick an ihrer Festigkeit und ihrer Treue zweifeln können; aber Sie können sich wohl vorstellen, daß der Gedanke, ihren Vater un¬glücklich gemacht zu haben, Clara jezt schon viele trübe Stunden machte, und i<h>n der Zukunft ihr jeden Genuß verbittern würde. Ich bemerkte schon lange diesen Kampf in ihr, hätte mich aber nicht entschlossen mich an <d[?]> Sie zu wenden, hätte ich nicht Heute früh einen herzzerreißen¬den Brief von ihrem Vater bekommen, der mir recht zeigt wie unglücklich er sich fühlt. Dieser Brief machte einen tiefen Eindruck auf Clara, und sie gestand mir zum ersten mal, daß sie sich ┌nie┐ ganz glücklich fühlen könnte so lange sie ihren Vater unglücklich weiß. Sie, verehrter Freund, werden ihr deßhalb nicht zürnen; im Gegentheil Sie werden ihre Gefühle ehren, und sie zu trösten und zu beruhigen suchen. In seinem Brief an mich sagt Hr Wieck, daß er Clara’s Liebe zu Ihnen durchaus nicht unter¬drücken wolle, daß er im Gegentheil wünsche Sie mit Ihnen vereint zu sehen, sobald er für Clara eine sichere, sorgenlose Zukunft vor Augen habe. Können Sie ihm dieses Verlangen verargen? Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es mir wird diesen Punkt zu berühren, aber ich muß Ihnen noch einmal Alles mittheilen was ich auf dem Herzen |2| habe; ich habe so viel Vertrauen zu Ihnen; Sie werden mich gewiß recht verstehen. Schon ehe Hr Wieck mir schrieb, hielt ich es für unzweckmä¬ßig Ihre Verbindung mit Clara zu feiern ehe Sie einer sicheren Zukunft entgegensehen. Halten Sie mich nicht für herzlos, daß ich diesen Gedan¬ken ausspreche; nein glauben Sie mir; ich fühle es tief wie schmerzlich es Sie berühren muß; ich weiß ja mit welcher Sehnsucht Sie dem Zeitpunkt entgegensehen, der Sie auf ewig mit Clara vereinigen soll, und wie we¬nig empfänglich Sie sein werden für Alles was Ihre schönen Hoffnungen ver<>┌schiebt┐, doch dieß Alles kann mich nicht abhalten, Ihnen meine Meinung mitzutheilen, die auf reifliche Ueberlegung gegründet, Ihr Glück zu verschieben beabsichtigt um es desto dauerhafter zu machen. Clara’s Gesundheit leidet zusehends nach Anstrengung; will sie ihre ganze Kraft als Virtuosin bewahren, kann sie höchstens eine Stunde täglich geben; was aber doch lange nicht hinreichen würde zur Bestreitung der Kosten einer Haushaltung. Clara würde sich gewiß so viel als möglich einschränken, doch muß sie entweder ihre Kunst vernachläßigen, und die vielfachen Sor¬gen einer Hausfrau auf sich laden, oder muß sie die Mittel haben, sich über diese kleinlichen Sorgen u Unannaehmlichkeiten hinweg setzen zu können, und ein freies, unabhängiges Leben zu führen. Deshalb halt ich es für viel besser, wenn Clara sich noch ein kleines Capital sammelt, während Sie Ihrerseits einen festen Standpunkt zu erringen suchen, dies würde auch zugleich Hrn Wieck versöhnen, und Clara würde dann, frei von allen Vorwürfen u Sorgen, an Ihrer Seite doppelt glücklich sein. Es ist viel Anmaßung von mir, daß ich es wage Ihnen Rathschläge zu geben; aber nach ruhiger Ueberlegung geben Sie mir gewiß Recht, so schmerzlich es Ihnen auch sein muß; und das Bewußtsein für Clara eine ruhige, freu¬denvolle Zukunft zu schaffen wird Ihren Muth erhöhen und Ihre Kraft stärken. Ihrem großen Geist muß es ja leicht werden sich überall bahn zu brechen; nur einen bestimmten Zweck mit Muth u Energie verfolgt, und es muß gelingen. Auch Clara wird alle ihre Kraft zusammennehmen müßen, um der Betrübniß nicht zu unterliegen. Könnte ich Ihnen nur sa¬gen wie Clara Sie liebt; so ist noch kein Mann geliebt worden wie Sie, und doch wird Clara Kraft genug haben, noch länger von Ihnen getrennt zu leben. Ach Clara, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie groß, wie erhaben |3| sie ist – wie rührend es ist [we]nn Sie von Ihnen spricht – wenn sie sich selbst vergeßend nur an Sie denkt, und nur um Sie Sorge trägt. Oh ich begreife es wohl, wie Sie sich sehnen diesen Engel um sich zu haben. Denken Sie aber auch an sie, erschweren Sie ihr den Entschluß nicht durch Vorwürfe oder durch übermäßigen Schmerz; Sie sind ein Mann; geben Sie einem Mädchen nichts an Muth nach. Trösten Sie Clara, beruhigen Sie sie; Sie vermögen ja Alles über sie – .
Herr Wieck hat mir geschrieben, er würde das förmliche Verspre¬chen ablegen, Sie mit seiner Tochter zu vereinigen, sobald er sehe, daß Clara nicht durch Sorgen, ihre mit so viel Anstrengung erworbene Kunst vernachlässigen müße; ferne davon Hinderniße in den Weg zu legen würde er alsdann Alles thun, was Ihnen zur Erleichterung dienen könnte. Glauben Sie daran; vergessen Sie nur noch dies eine Mal was er Ihnen gethan hat; ziehen Sie sich nicht zurück wenn er Ihnen freundlich entge¬gen kommt; denken Sie an frühere Zeiten wo Sie ihn als Vater geliebt, er Sie als Sohn, und fassen Sie wieder Vertrauen. Man kann die Handlun¬gen Anderer auf so verschiedene Weise beurtheilen, <jeder> je nachdem man selbst gestimmt ist; nehmen Sie die gute Seite von Allem heraus; Sie thun es ja für Clara; es ist ja Clara’s Vater, müssen Sie ihn denn nicht lieben? Und sollte er dann sein Versprechen brechen; dann hat Clara sich keine Vorwürfe zu machen, wenn Sie auch ohne seine Einwilligung sich mit Ihnen verbindet. Ich bin überzeugt, daß Sie gewiß auch schon ähnli¬che Gedanken gehabt, u daß Sie durch Ihre Fassung Clara den Entschluß erleichtern werden. Bedenken Sie nur, daß es Clara eben so viel Ueber¬windung kostet wie Ihnen; und daß Sie sie nur <damit> trösten können, indem Sie sich ihr ruhig u gefaßt zeigen. Diesen Entschluß, zu dem sie erst nach so schwerem Kampf gekommen, ihr für Kälte oder Mangel an Muth u Vertrauen auszulegen, ist Ihnen, der Sie schon so viele Beweise ihrer Liebe u ihrer Seelenstärke haben, unmöglich.
Jezt kommt es nur darauf an, das Mittel zu finden, durch welches Sie so bald als möglich, zu dem Ziel gelangen können, das alle Wünsche befriedigt; es wäre Anmaßung von mir, wollte ich Ihnen hierüber einen Rath geben. Ihrem Genie u Ihren vielseitigen, ausgebreiteten Kenntnißen steht jeder Weg offen; hingegen begreife ich wohl, daß gerade deshalb es Ihnen schwer wird eine bestimmte Wahl zu treffen. Was es auch sein mag, Ihre Kunst darf nicht darunter leiden, dieß würde Clara unglück¬lich machen. Die Ubernahme der Buchhandlung im Verein eines Buch¬händlers von Profession, scheint das sicherste Mittel, in kurzer Zeit das Verlangen des Herrn Wieck zu befriedigen. Natürlich kann hierüber Nie-mand so gut urtheilen als Sie selbst; auch muß ein solcher Schritt von allen Seiten her überlegt werden; |4| denn, wenn man einmal etwas ergriffen, muß man es durchführen, so groß auch die Schwierigkeiten sein mögen, die man zu überwinden hat; durch unermüdliche Ausdauer gelangt man doch zum Ziel, hingegen man durch durch [sic] öfteres Wechseln nur im¬mer wieder die Unannehmlichkeiten des Anfangs zu bekämpfen hat und nie die Früchte des Erfolgs genießen kann. Clara’s Vater will künftigen Winter mit ihr nach Belgien, Holland u England reisen, wo sie dann auch ihrerseits eines kleines Capital zu sammeln hofft – ohne männliche Beglei¬tung hätte sie nicht diese Reise mit Erfolg machen können. Auch wird ihr nicht die Achtung zu Theil, die sie so sehr verdient. Wenn Sie, verehr¬ter Freund mit Ruhe u Fassung dieß Alles überlegen, werden Sie uns Recht geben; schreiben Sie mir, daß Sie mir nicht böse sind daß ich Ihnen hierüber geschrieben; es geschah in der besten Absicht – besonders bitte ich Rücksicht auf Clara zu nehmen, und ihr in der ersten Aufregung keine Vorwürfe zu machen; sie könnte sie nicht ertragen.
Mit aufrichtiger Liebe u Hochachtung
Ihre Emilie List
Monsieur Robert Schumann.
Leipzig.

  Absender: List, Emilie (962)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
91-96

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. ohne Nr. ohne;D-B: Mus. Nachl. R. Schumann 3,29
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.