23.01.2024

Briefe



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ID: 7424
Geschrieben am: Donnerstag 04.08.1859
 

Wildbad d. 4 Aug. 1859.
Liebste Mila,
wie lange hörte ich nichts von Euch! das ist mir aber so unheimlich, daß ich Dich jetzt recht ernstlich bitte mir zu schreiben. Warum thust Du es nicht auch ohne meine Bitte von Zeit zu Zeit? glaubst Du, Ihr wäret mir gleichgültig? das kannst Du doch nicht, dazu kennst Du mich zu gut. Zeit zum Schreiben hast Du doch mehr als ich. Bei mir nimmt die Zeit immer mehr ab, während die Correspondenz wächst.
Hier bin ich zur Cur, soll mich ganz ausruhen, und habe in der Zeit von 14 Tagen an die Dreißig lange Briefe zu schreiben gehabt, Alle ganz nöthig! –
Wie geht es bei Euch? wo seyd Ihr? wie gehts Euerer guten Mutter?
|2| Wo seyd Ihr diesen Sommer? wie fand Elise Fritz zu Ostern? Meine Knaben waren auch drei Wochen zu Haus, ich kann aber leider nicht sagen, daß ich ihre Fortschritte bedeutend gefunden hätte, dann auch fand ich Ludwigs Benehmen namentlich so unmanierlich, daß ich ganz betrübt war! das Schimpfen und Raisonnieren hörte nicht auf. Hätte er das wirklich, wie Frau St. sagt, von Düsseld. mitgebracht, so müßte das doch <bei> nach 2jähriger guter Aufsicht ausgerottet sein. Aber das Princip, nie zu strafen, ist ein, namentlich bei Knaben, ganz verkehrtes – ich glaube nur mit Güte wird unter tausend Kindern kaum Eines erzogen. Ich habe unaufhörlich darüber nachgedacht, was anzufangen, ob ich einen Hauslehrer nehmen, oder was ich sonst thuen soll. Ich gehe jedenfalls im Nov. |3| selbst hin, und will dann ernstlich mit Hrn. St. sprechen. Ich finde auch die geistigen Fortschritte gar sehr gering bei Ludwig; gerade weil er sehr zurück, so müßte er ganz besonders beaufsichtigt werden. Wie schlimm das ist! –
Wo soll ich nun anfangen Dir von mir zu erzählen? daß ich bis März in Wien war weißt Du! ich <h> gab den vielen Bitten mehrerer junger talentvoller Klavierlehrerinnen nach und unterrichtete sie 5 Wochen. Es war eine große Strapaze für mich, und konnte mich wirklich nur die Dankbarkeit der Mädchen, und der Nutzen, den ich ihnen schaffte, mich entschädigen für den Verlust an Zeit und Krafft. Wie die Lehrer in W. mangelhaft unterrichten, das glaubt man nicht, von einer Auffassung ist nie die Rede; daß in der Musik Character, Stimmung sein könne, davon hatten die Mädchen nie gehört. |4| Eisenstein’s sah ich im Anfange mehrmals, später nicht mehr, ich hatte nicht Zeit mehr hinzugehen, denn ich war so beschäfftigt (dazu gab ich in der letzten Zeit noch drei Privat-Soireen), daß ich mich nur wundere, wie ich solch Leben ausgehalten habe. – Von Wien ging ich nach Prag und Dresden, wo ich 4 Wochen bei Bendemanns wohnte und eine schöne Zeit verlebte.
Im April ging ich auf 10 Tage nach Haus, dann Ende April nach London, von wo ich, nach Verlauf einer schlechten Saison, mit wenig, aber doch etwas Verdienst nach Deutschland zurückkehrte. Erst besuchte ich Frl. Leser in Düsseld. 14 Tage, dann kamen Marie und Elise von Berlin, Elise mußte ich wegen scrophulösen Augenleidens nach Kreuznach bringen (erhielt recht gute Berichte von dort) und ging mit mit [sic] Frl. Leser und Marie |5| hierher zur Cur für meinen Rheumatismus, der sich zwar nicht wieder in solchem Grade wie früher gezeigt, jedoch immer noch sich geltend macht. In England litt ich viel an Gesichtsschmerz, vertrage überhaupt das Klima dort immer schlecht. Marie hatte ich nicht mit dort, es war ein Glück, denn dann hätte ich gar nichts übrig gehabt. Aber meine Schwester Marie war mit, Die habe ich dort bei all meinen Bekannten eingeführt, und bleibt sie ganz dort, als Lehrerin sich zu fixieren. Der Vater bat mich darum, als ich in Dresden war, und das konnte ich nicht abschlagen; alle Freunde riethen ab, doch mein Herz sprach anders, und ich bereue nicht, daß ich’s gethan.
Hier ist es gar schön, rings umgeben von Tannenwäldern, ein lustig rauschender Bach, liebliche Anlagen, überall Plätze am Bach, wo man ungestört sitzen und schreiben kann, |6| wie ich auch jetzt thue, kurz so behaglich wie möglich und gar nicht theuer. Was eine Freude wäre es für mich, besuchtest Du mich hier. Ist das gar nicht möglich? es ist ja gar nicht so weit von München! – Ich bleibe jedenfalls bis zum 20ten, vielleicht auch länger hier, dann kommt meine Elise, und mit ihr und Marie will ich dann nach Luzern, wo ich Stockhausen treffe und wir eine Tour mit Ihm und Kirchner (Den kennst du wohl auch von Alters her?) in’s Berner Oberland machen wollen, wonach ich mich wahrhaft sehne.
Nun weißt Du, liebe Mila Alles von mir und meinen Plänen; mein Inneres das kennst Du, mein Herz ist krank, zerrissen, ich fühle mich hier auf dieser Welt nicht mehr zu Haus, Sonne und Licht erstarb mir in Ihm – ich liebe meine Kinder, doch sie sind nur einzelne Strahlen, die das |7| Herz wohl oft erwärmen, es aber zu keiner Blüthe, keiner Glückseligkeit mehr bringen können. Mich erhält nur die unausgesetzteste Thätigkeit, die Sorge um meine theueren Kinder, am Leben, nur, wenn ich sie ansehe, Alle sein Vermächtniß, dann kommt mir der Wunsch zu sterben, nicht, sonst aber oft. Der Himmel ist aber gütig, er giebt der Sorgen immer neue, größere, so daß ich immer fühlen soll, ich bin hier noch recht nöthig. Jetzt sind es drei Jahre daß mein Robert starb, und ich lebe, schaffe und wirke noch immer! –
Nun lebe wohl, theuere Mila! schreibe mir doch ja bald, gleich – Du findest in mir immer und für alle Zeiten Deine Dir und all den Deinen
getreue
Clara.
Wie gut, daß Fritz jetzt |8| noch nicht erwachsen, sonst hätte er mit in den unglückseligen Krieg gemußt.
1 000 Grüße an Alle, auch Elisens Kinder. Ist Hedwig fleißig im Album? Cäcilie fängt nun wohl auch bald an? Lina, wie geht es Ihr?
Weißt Du, daß Marie Mendelssohn Braut? mit Hr. Benecke in London. Da kommt Geld zu Geld. Sie sind übrigens weitläufig verwandt.
Joachim ist noch in England, Brahms in Hamburg, wo er diesen Sommer fleißig arbeitet; wir werden uns erst im Herbst wiedersehen.
Die Kleinsten sind in Berlin bei Frl. Werner, meine Julie beim Großvater in Dresden zum Besuch, der entzückt ist über ihr musikal Talent, und sie gern dort behalten will um sie auszubilden. Ich weiß noch nicht, was ich thuen werde – es geht mir aber viel im Sinn herum

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wildbad
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
368-373

  Standort/Quelle:*) A-Wgm, s: Sammlung Cornides
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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