Frankfurt a/M d. 20/1 93
Liebe Frau v. Holstein,
wie hat Ihr lieber Brief mich wieder erfreut – jeder Brief von Ihnen war mir bisher eine liebe Erinnerung, so auch dieser letzte. Aber ich weiß ja gar nichts von dem Bilde von Fechner, erinnere mich wohl desselben als mit einer Schleife im Haar, aber, ich |2| habe keine Idee, wer das Original besitzt, und wußte nichts von einer Vervielfältigung desselben. Sie sehen hieraus, daß ich keine Copie erhalten habe. Es liegt mir nun aber viel daran zu wissen, wer das Original besitzt? ich begreife gar nicht, wie es in fremde Hände gerathen ist, und sähe es gar zu gern einmal.
Wie schöne Zeit haben Sie in Leipzig jetzt ge-|3|habt, den Joachim, die Engelmann’s und unsern lieben Herzogenberg! ach, hätte ich in der Zeit auch dort sein können, aber freilich, es wäre eine wehmütige Freude für mich gewesen. Wie recht haben Sie in Ihren schmerzlichen Empfindungen, die Mauern niedergerissen zu sehen, in denen wir so viele schöne, geweihte Stunden verlebt haben! und ich verlor ja in Livia die ältesteFreundin! – Es ist schrecklich |4| zu erleben, wie alles so anders wird, wenn man von der Erde geschieden ist, ein furchtbar trauriges Gefühl! –
Merkwürdig ist es doch, wie Herzogenberg sein Leid trägt – Dem hilft wirklich die Musik als sanfteste Trösterin. Und, jetzt hat er in Leipzig doch auch die Freude der Anerkennung gehabt! – Ueber sein Verhältniß mit Frl. Helene Hauptmann kann doch Niemand etwas sagen wollen? das wäre doch geradezu boshaft.
|5| Von mir kann ich Ihnen insoweit Gutes sagen, als ich so viel kräftiger bin, daß ich wieder spiele und regelmäßig unterrichte, aber, nur während dieser Zeit verschwindet der schreckliche Lärm in meinem Kopfe, und geht fort unausgesetzt Tag und Nacht, sogar im Schlafe höre ich ihn. Das drückt mich sehr darnieder, und läßt mich keinen freudigen Augenblick, außer am Clavier, genießen. |6| Orchestermusik oder Kammer-Musik kann ich nicht ertragen, da höre ich Alles falsch.
An der Wirksamkeit meiner Töchter habe ich viel Befriedigung. Marie hat eine sehr besuchte Clavierclasse im Hause, verbunden mit Theorie u Solfeggio und Eugenie hat ebenfalls in London eine Klasse u. viel Schüler. Ich betheilige mich an Marien’s Klasse, und arbeiten wir, meine Töchter, fleißig, ich, nach meinen Kräften.
Leben Sie wohl, liebe verehrte Freundin. Lassen Sie mich bald wieder von sich hören. Ihre getreue Clara Schumann.
Sehr gespannt bin ich von dem Original v. Fechner zu hören.
Ihrer lieben Schwägerin auch meinen Gruß!
Marie grüßt angelegentlichst.
[Umschlag]
Frau
Hedwig von Holstein
Leipzig.
Salamonstrasse [sic]
im eignen Hause.