Berlin d. 19/1 40
Verehrter Herr,
Sie mögen Sich wundern, daß ich Ihnen so spät erst auf Ihr Schreiben vom July antworte, doch erlauben Sie mir mich bei Ihnen zu vertheidigen. Ich war schon von Paris abgereist als Ihr Brief dahin kam, und bekam ihn spät erst nachgeschickt; Sie hatten einen Aufsatz für ein Pariser Journal beigelegt, und so schickt’ ich Letzteren wieder nach Paris mit der Bitte ihn in ein Blatt daselbst einrücken zu lassen. Vor einigen Tagen erst erhielt ich ihn zurück mit der Bemerkung, daß die Pariser Journale nur für Honorar <anna> einen Aufsatz annähmen, und es somit meinen Freunden nicht gelang Ihre Bitte zu erfüllen, was mir um so mehr <l>Leid thut als ich Ihnen von Herzen gern auch einen kleinen Gegendienst erwiesen hätte. Auch wegen des Theater de la Renaissance schrieb ich nach Paris, doch mit so einem Director ist nicht anders Etwas zu machen als wenn der Componist Selbst kommt, oder die Sache durch sehr einflußreiche Leute bewerkstelligen läßt. Ich, ein junges Mädchen, würde mit solch einer Angelegenheit (auch wenn ich persönlich mich darum bemüht hätte) gleich abgewiesen worden sein. Werden Sie mir darob zürnen, werden Sie mich doch am Ende ungefällig heißen? Dürfte |2| ich Ihnen rathen, so würde ich sagen, gehen Sie doch nach Paris, Sie sind es Sich eigentlich schuldig. Sie Selbst vermögen am besten Ihre Oper auf’s Theater zu bringen, und wie sehr wünschte ich es. Wie weit sind Sie mit Ihrer zweiten Oper? sie ist wohl nun vollendet? wünschen Sie den Aufsatz zurück zu haben? Wird Ihre Oper vielleicht jetzt schon in Wien aufgeführt? Sie schwelgen wohl recht sehr in Liszt Tönen jetzt? Nun, wir werden ihn ja auch bald bei uns haben! wie freue ich mich, besonders um Schumanns Willen, der Sie vielmals grüßen läßt. Ach könnte ich Ihnen doch einmal seine neuen Compositionen spielen, sie sind reizend! sie finden nun doch auch nach und nach immer mehr Eingang – ich spiele viel hier von seinen Compositionen, und sie finden immer mehr Anklang, was mich doch gar sehr freut. Ich bin seit einem halben Jahre nun bei meiner Mutter hier, habe vor nicht langer Zeit ein Concert mit Carl Müller im Schauspielhaussaal gegeben, und jetzt wieder zwei Soirèen angekündigt, wonach ich einem Engagement zu Folge nach Hamburg reise, dann aber wieder hieher zurückkehre und den Sommer hier verweile. Sie werden vielleicht erfahren haben welch trauriges Verhältnis zwischen mir und |3| meinem Vater obwaltet! obgleich ich Alles versucht es zu verhindern, so vermochte ich es doch nicht meines Vaters störrischen Sinn zu lenken. Glauben Sie mir, so hat wohl selten ein Vater an seinem Kinde gehandelt, wie mein Vater an mir – um einer Liebe willen! wie schwer sind wir geprüft worden! ach, lieber Herr von Vesque, wie gern spräch ich auch mit Ihnen einmal über Diese meine Herzenssache, mich wenigstens vor Ihnen zu rechtfertigen, die Sie mich gewiß auch nach so manchem falschen Gerücht verkennen, auch meinen Robert, dessen Character gewiß der Edelste ist, <ich> und ich ihn nur täglich mehr darum lieben und achten muß.
Nun will ich Ihnen aber nicht länger lästig fallen, und habe nur noch die Bitte mir, sobald es Ihnen möglich, eine Empfehlung vom Hof an die hiesige Kronprinzeß oder den Kronprinz zu verschaffen – es kostet Ihnen ja nur ein Wort bei dem Fürst von Metternich. Meine Adresse ist: „Berlin, hinter der Katholischen Kirche No. 2“ und Sie werden mich hoch erfreuen, wenn Sie mir recht bald ein paar Zeilen senden, die mir ein Beweis seyn würden, daß Sie mir nicht bös sind. Ihr liebes Weib grüßen Sie und behalten Sie ein wenig lieb
Ihre
ganz ergebene
Clara Wieck.