23.01.2024

Briefe



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ID: 8027
Geschrieben am: Montag 06.07.1835 bis: 09.07.1835
 

Montag d. zu meinem eigentlichen Concerttag.
Geliebte Emilie,
Sehr habe ich Dich bedauert, daß <es> Dich der Aufenthalt in Blaubeuren nicht für das entschädigt, was Du hier versäumst, doch um so eher hoffe ich Dich bald wieder hier zu sehen. O, wie schön ist ┌es┐ jetzt hier. 1) ist Lipinsky hier gewesen. 2) ist Anschütz ein berühmter Schauspieler hier und tritt <zehn> ┌10┐ mal auf. 3) kommt der Balladencomponist Loewe hier her und giebt am 22ten <hier> Concert. 4) ist heute großes Extra Concert im großen Kuchengarten wo man eine Fantaisie von Lanner giebt, <w> in welcher das Gewitter <auf> ┌auf┐ eine Art nachgeahmt ist, daß es sehr lächerlich ist. Uebrigens soll es sehr schön sein. Wärst Du nun hier so könnten wir zusammen hin gehen. 5) ist Fräulein Ringelhardt hier mehrmals ┌mit Beifall┐ aufgetreten, hat aber sehr <sch> unrein gesungen, doch gut gespielt. Auch wollte ich heute Concert geben doch die Hitze und das eben erwähnte Concert im Kuchengarten hielt uns ab, daß [sic] schon angekündigte Concert zu geben. Mein<e> Concert ist nun fertig. Das Adagio ist ohne Orchester und bloß mit obligaten Violoncello. Es macht sich sehr gut. Was die Reise Deiner Eltern anbetrifft, so hab ich es, im Vertrauen gesagt, auch schon unrecht gefunden, daß man Dich nicht mitgenommen hat. Wie Du wissen wirst ist Elise auch mit. – Ich möchte Dich einmal in der Küche sehen, Du siehst nie so aus wie kochen. Wie schön wäre es wenn wir jetzt könnten zusammen in’s Bad gehen! Morgen oder Uebermorgen reißt der Vater nach Dresden Geschäffte halber und in 8 Tagen reisen wir dann zusammen nach Halle wo ich Concert gebe. Heute ist Stegmayer mit seiner Frau nach Wien gereißt, von wo er wahrscheinlich voller Schulden zurück kommen wird. Herr Schumann bekömmt wie ich gehört, wöchentlich 2 Briefe von Ernestine obgleich er höchstens aller 8 Wochen nur einmal schreibt. Auch beklagt er sich, daß es so viel Porto kostet, doch er konnt es ihr nicht untersagen. Die Heirath wird nächstens vor sich gehen –. Hast Du meinen Brief, den ich Dir vor 4 Wochen schrieb nicht erhalten? Ich hatte ihn Deiner Mutter gegeben. Madam Voigt ist wieder zurück von ihrer Köllner Reise<n>. Sie war 6 Tage in Kassel, 2 Tage in Düsseldorf, wo sie den Mendelsohn bewogen hat <hie> auf 6 Monate hieher zu kommen, wo Du hoffentlich wieder hier sein wirst. Schreib mir doch ob Du Herrn Schunke noch manchmal siehst? Ist er immer noch so zärtlich? Vor 2 Wochen habe ich auch mit Herrn Günther zusammen Gevatter gestanden und zwar bei Mohn. Den Brief an Ida werde ich besorgen. Hast Du denn in Blaubäuren eine Jugendfreundin oder Freund? Schreib mir doch was Du den ganzen Tag machst? Ich dächte, Du müßtest Dich recht langweilen. Schreib doch Deinen Eltern, daß sie Dich wieder hieher lassen. Jammere recht sehr, da wird es schon gehen. O wie schön wäre es wenn wir nun könnten zusammen baden und jetzt, wo der Vater in Dresden ist, immer allein zusammen spazieren gingen. O wie dumm bist Du, daß Du fortgegangen bist. Der Livia ihr Vater sitzt hier auf Wechselschulden, während sie in Berlin mit Kammerjungfer und Bedienten, à la Schroeder, sitzt. Sie kann Jahrelang singen, und kann doch das nicht geben, was ihr Vater braucht um wieder loszukommen. Als sie noch hier war, bekam sie ungeheuere Geschenke, welche ihr ihr Vater mitbrachte, und sagte sie kämen von den und den, weil er so entzückt gewesen wäre von ihrem Gesange, was sie auch glaubte.
|2| Und als sie nun fort reisen will, bekommt sie die Rechnungen von allen diesen Sachen, welche viele hunderte <kostete> ausmachen, und welchen ihr Vater gekauft und nicht bezahlt hat. O wie glücklich sind wir gegen diese. In Berlin ist sie, so viel ich weiß noch nicht aufgetreten. Herr Bank reißt jetzt nach Türingen und Herr Schumann will nach Zwickau um in deßen Nähe seine Hochzeit zu feiern, von wo aus er dann hieher kömmt und zwar mit seiner neuvermählten Frau. Er hat schon ein Logie der Voigt schreibe es ja nicht, denn obgleich Herr Schumann kein Geheimniß mehr daraus macht, so würde sie es ihm doch wiedersagen, daß ich es Dir gleich geschrieben. Er schwelgt jetzt in Liebe für seine zukünftige Ehegattin. Er <hat> ist auch ganz solid geworden, geht Abends um 11 Uhr ins Bett und steht um 7 Uhr, und nicht um 10 wie sonst auf. Schon das Hochzeitkleid hat er ihr gekauft. Doch Hochzeit wird den 8ten August in Asch stattfinden, Die Verlobung ist daselbst schon vor einiger Zeit gewesen, wo er da war. Unsere Herrenschafft hat wieder zugenommen, durch einen süßlächelnden Braunkopf aus Hamburg (Rackeman) und einen Rothkopf (Ulex) aus Hannover. Auch ein, wegen politischer Umtriebe, aus München verjagter Doctor ist jetzt hier.
Liebe Emilie, mein Brief ist sehr eilig geschrieben, und ich weiß nicht, ob Du alles wirst lesen können. Eben ist es 4 Uhr, darum muß ich schließen, denn ich muß mich anziehen um Concert im Kuchengarten. Schreibe mir ja recht bald wieder einen recht langen Brief.
Ich bleibe
Deine
Dich innigliebende Freundin
Clara Wieck.
<Deinen Bruder Karl hab ich nicht wieder gesehen, seitdem Du fort bist> Meine Eltern grüßen Dich vielmals. Schreib mir ja recht sehr sehr bald wieder und jammere, wie ich Dir gerathen recht sehr, dann wirst Du schon wieder herkönnen.
|3| Nachschrift. D. 7ten
Gestern wurde aus dem Extra Concert nichts, <denn> sondern es ging in eine Sündfluth <über> und Gottes Donnerwort über. Herr Schumann kommt jetzt alle Tage hierher und ist glücklich. Er läßt Dich grüßen. Heute war auch Madam Voigt hier. Sie läßt Dich vielmals grüßen. Mit ihr ist nichts mehr anzufangen, denn sie ist sehr verliebt in Herrn Ulrich, ┌Violinspieler┐ welcher den ganzen Tag bei ihr ist. Es <sch> ist schon in der ganzen Stadt bekannt, und man lacht und spottet allgemein darüber. Doch ich hoffe an Dir eine verschwiegene Freundin zu besitzen.
Den 8ten früh 9 Uhr.
Eben ist der Vater mit der Eilpost nach Dresden, und ich sitze ganz allein hier an meinem gewöhnlichen Schreibtisch. Doch es schlägt 9 Uhr. Ich muß mir ein Billet in’s Theater holen; denn Anschütz giebt heute König Lear. Morgen werd ich Dir schreiben wie es mir gefallen hat.
D. 9ten.
Ich schreibe Dir mit schwerem Kopfe, denn es liegt [mir] Centnerschwer auf dem Kopfe. Doch die Ursache [dav]on ist Anschütz. Er spielte so schön auch war [das Stück so] schön, daß ich es Dir nicht sagen kann. Das S[chauspiel war so herzz]erreißend, wie ich noch keins gesehen. Mein Sch[luchzen und] Weinen wiederhallte im ganzen Theat[er. Es ist] zu schrecklich, man kann so etwas Grosses nicht beschreiben. Der Anschütz spielt ganz ausgezeichnet. Willst Du ihn noch sehen, so komm bald hieher. Es hieß auch, daß das französische Theater aus Berlin hieher käme, doch es wird nichts daraus denn der König von Preußen hat ihnen 8000 Thaler gegeben, wenn sie <P> nach Paris gingen um dort noch et-was zu lernen. Ist das nicht großmüthig? – Das große Extra Concert wird heute statt finden. Man spielt eine Ouverture von Leonhard, der im Gewandhaus gespielt. Dann Meeresstille und glückliche Fahrt von Men¬delssohn. <Eine> Ouvertüre von Spohr aus Jesonda, A dur Simphonie von Beethoven. Zweites Finale aus Lestoque. Introduction aus der Stum¬me und zuletzt Melorama [sic] von Lanner. Wenn nur das Wetter gut bleibt. Eben ist der glückliche Herr Schumann bei mir und darum Adio.
Mit Sehnsucht nach Dir
Deine Clara.
|4| Fräulein Emilie List
in Blaubaüren
Königreich Würtemberg
d. G.


  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Blaubeuren
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
59-65

  Standort/Quelle:*) A-Wgm; s: Slg. Cornides
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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