23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 8085
Geschrieben am: Mittwoch 22.06.1842
 

Leipzig d. 22//6 1842
Habe Dank, meine liebe Emilie für Deinen lieben langen Brief sowie Elise für ihren originellen, der mir Spaß machte. Wir bekamen Euere Briefe gerade an meines Mannes Geburtstag und nahmen sie mit über Land, wo wir ordentlich darin studierten, und hin und her überlegten, ob sich Euer Plan wohl ausführen ließe. Gern schriebe ich Dir etwas Bestimmtes wegen meines Entschlusses, doch das geht nicht so schnell, daher ich Dir nun einstweilen sage, daß wir die Sache noch länger überlegen müssen. Ich hatte auch den Plan nächsten Winter Holland u Belgien zu besuchen, doch ist das Schlimme das, daß ich nicht weiß, ob ich im Herbst, im Winter, oder gar erst im Frühjahr fortkomme; hat man erst Familie, dann ist man keinen Tag sein eigener Herr. Elise steht unabhängig da, kann sich also auf das Unbestimmte nicht einlassen, doch können wir ja die Sache weiter bereden – bis Ende July will ich mich entscheiden, und dann ist’s doch gut, wenn unter uns alles Weitere beredet ist. Ich habe ein Bedenken für Elise: wird sie allein nicht eben so viel verdienen? in Holland, wo man Gesang so sehr liebt, braucht sie mich nicht, und in Belgien ist weder so, noch so Etwas zu machen – da ist’s nicht viel.
|2| Elise will Geld verdienen, ich auch! was denkst Du, was so eine Reise einbringen könnte? Was sind Euere pecuniären Gedanken? über diese Dinge müssen wir uns ohne Hehl besprechen, so delicat es auch ist. Schreib mir also darüber, Dein Vater hat gewiß schon irgend einen Ueberschlag gemacht – ich kann es nicht, da ich die Länder nicht kenne. Es wäre schön, machte sich die Sache – laß uns darauf lossteuern! –
Deine Berichte über Elisens Deputs interressirten mich sehr, ich kann mir so lebhaft Elisens Degoût8 an dem Theaterleben vorstellen; es ist an sich ein erbärmliches Treiben – freilich verdienen konnte sie da mehr in einem Jahre, als in 5 Jahren als Concertsängerin. Doch, welche Schätze können Einem den Seelenfrieden und ein inneres Glück wiedergeben? Beides geht auf der Bühne dahin! –
Lachen mußten wir über Liszt’s Vorschlag, mit Elise zu reisen; mein Mann sagte „Der ist gescheidt, das wäre aber eine gefährliche Sache“! Dazu hätte ich auch nicht rathen mögen – Elise ist zu englisch, Liszt zu diabolisch –.
Schreib mir, wie das Concert für die Hamburger ausgefallen? ich gab auch vorigen Monat Eines mit David für denselben Zweck, was für die große Hitze, gerade an |3| diesem Tag, sehr besucht zu nennen war. Es blieben doch nach Abzug aller Kosten über 100 Thaler. Wär [sic] hätte je gedacht, daß wir für Hamburg spielen und singen würden? das stolze Hamburg! – Das Unglück war doch schrecklich, und denke Dir nur, beinah wäre ich noch dort gewesen, hätte mich nicht die Unruhe und Sehnsucht nach Haus so gepeinigt, daß ich mich nicht halten ließ. Die Unglücksfälle hören jetzt gar nicht auf – kaum kamen die schrecklichen Feuersnachrichten, als auch schon von Versailles das fürchterliche Unglück kund wurde, das mich im höchsten Grade bestürtzte – es ist zu entsetzlich! –
Kämst Du doch diesen Sommer einmal auf einige Wochen zu mir! ist es denn nicht möglich? überlege es Dir, laß uns über unsere Pläne mündlich verhandeln.
Von Henriette bekam ich vor einigen Tagen ein reizendes Mäntelchen mit Kragen, ┌u┐ ein paar wollene, weiß und blau gestrickte, Schuhe für Mariechen, auch für mich ein kleines allerliebstes Schreibzeug auf den Nipptisch. Du kannst Dir nicht denken, wie reizend das Kind darin aussieht – man weiß nicht ob das Mäntelchen, oder die Augen blauer se-hen. Vor einigen Tagen hat sie auch 2 Zähne bekommen, und nun ┌muß┐ sie immer ihr kleines Mäulchen aufsperren, damit wir uns an ihnen ergötzen. |4| Sie ist unsere ganze Freude, und der Liebling unserer ganzen Nachbarschaft.
Mit Henriettens Liebschaft ist es doch eine komische Sache; der Geliebte ist nun nach Wien, wohin sie auch will. Er hat Geld, doch <ihr> sein Vater will nichts von der Heirath wissen, so zufrieden auch ihre Eltern gewiß sein würden. Ich bin begierig, wie die Sache abläuft. Sie war den ganzen Winter krank – man glaubte es wäre die Auszehrung, doch ist’s jetzt wieder besser. Warum sie das Verhältniß ihren Eltern verschwieg, begreife ich nicht; sie ist der Liebling, der Augapfel ihrer Eltern, sie sind beide so rechtschaffene gute Leute – unter diesen Verhältnissen finde ich dieses geheime Verhältniß unnöthig und folglich <U> unrecht. Findest Du nicht auch? Dies entre nous.
Ernestine ist nun wieder von Wien zurückgekehrt; sie suchte dort eine Stelle, es gelang ihr jedoch nicht, mir scheint, sie war auch in keine guten Bekanntschaften gerathen, die Hauptsache aber – sie kann zu wenig, um den Ansprüchen der Leute zu genügen, und wie sie spielt, so spielen in Wien Tausend. Sie dauert mich entsetzlich – ihr letzter Brief war verzweiflungsvoll, und sie wünscht sich nur den Tod, sie könnte es nicht mehr aushalten, das Leben. Sie ist sehr unglücklich, das ist wahr! fände sich nur wieder ein Mann! –
|5| Das war Verschiedenes durcheinander geschwatzt, um so angenehmer will ich Dich nun auch durch einen schnellen Schluß überraschen.
Elise, Lina und Du, seyd mir geküßt – ein liebenswürdiges Kleeblatt! Deinen lieben Eltern meine herzlichsten Grüße und Dir noch extra einen Kuß im Voraus für den nächsten Brief.
Deine Clara.
Schreibe ja bald wieder, hörst Du! Robert grüßt – küssen darf er nicht! –
|4| Fräulein
Fr. Emilie List.
Abzugeben bei dem Herrn
Professor und Consul List
jetzt in
Augsburg
fr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Augsburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
167-170

  Standort/Quelle:*) A-Wgm; s: Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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