23.01.2024

Briefe



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ID: 8274
Geschrieben am: Donnerstag 11.08.1864
 

Rigi-Kaltbad d. 11 Aug. 1864.

Verehrtester Herr,
werden Sie es unbescheiden finden, wenn ich mich mit einer Anfrage und Bitte an Sie wende? Sie sind mir immer so freundlich entgegengekommen, daß mir dies Muth giebt. Die Bitte betrifft meinen ältesten Sohn (16 1/2 Jahr) der jetzt in Carlsruhe auf dem Lycäum ist; Derselbe ist fleißig und gut, aber ein ganz träumerischer Junge, der vom practischen Leben gar keine Idee hat, und mir |2| deshalb große Sorge macht. Er hat sich noch zu keinem Fache entschieden, und doch scheint es mir, ganz besonders in meinen Verhältnissen, jetzt Zeit, einen Beschluß mit ihm zu fassen. Meine Absicht war bisher ihn in’s Polytechnikum zu schicken, und darauf hin hat er jetzt, besonders in der Mathematik, die ihm viel Schwierigkeit macht, studiert; jemehr ich mir die Sache aber überlege, <jeweniger kann ich> und die Fähigkeiten des Jungen erwäge, destomehr gewinne ich die Ueberzeugung, daß ein technisches Fach gar nicht für ihn paßt – Alles, was dazu gehört besitzt er gerade gar nicht. Nun denke ich es ist |3| doch sehr schlimm, wenn der Junge jetzt Zeit und Geld verschwendet auf Wissenschaften, (wie z. B. Mathematik) die er denn schließlich gar nicht braucht, und weiß mir keinen anderen Rath, als einen Mann, der sich mit Erziehung beschäfftigt, zu bitten, den Jungen zu prüfen und mir seine Meinung zu sagen. Ich dachte an Sie, lieber verehrter Herr, und wollte nun bei Ihnen anfragen, ob Sie meinen Wunsch erfüllen wollen und können?
letzteren Falles würde ich Sie dann bitten, ob Sie erlaubten, daß ich Ihnen den Jungen in seiner Ferienzeit, die von jetzt bis Ende Septbr. währt, ’mal auf 8 Tage, oder |4| weniger, wenn das hinreichte, nach Stuttgart <zu> schickte? einige Tage wären wohl nöthig, weil bei seinem zerstreuten Wesen ein klarer Ueberblick seiner Fähigkeiten in sehr kurzer Zeit kaum möglich. Es versteht sich von selbst, daß ich zu jeder Entschädigung bereit, natürlich würden Ihnen auch einige Kosten daraus erwachsen, wenn ich ihn schicke. Die Freundschaft, welche Sie mir dadurch erweisen, kann ich Ihnen freilich nur mit dem innigsten Danke vergelten, möchte mir dann mit der Zeit Gelegenheit werden, es auch noch anders zu thuen!
Sie wundern sich vielleicht, daß ich die eignen Lehrer |5| meines Jungen nicht befrage, doch wissen Sie ja, daß in einer großen Schule kein Lehrer Zeit hat sich mit der Entwicklung jedes Einzelnen zu beschäfftigen, dann haben sie auch mehr oder weniger ihre Interressen im Auge, entlassen die Schüler nicht gern eher als bis sie alle Classen durchgemacht, kurz, ich glaube mich nur an Jemand wenden zu dürfen, der ganz unpartheiisch, und auch mein Wohl dabei im Auge hat.
Ich hoffe, Sie sind jetzt wieder in Stuttgart, und zufrieden mit Ihrer <> Kreuznacher Cur?
Szarvady’s hoffe ich bald einmal zu begrüßen, und freue mich sehr darauf; leider |6| treffen sie es mit dem Wetter schlecht, denn seit zwei Tagen regnet es unaufhörlich, und ist so kalt, daß man [es] hier oben kaum aushält.
Schließlich bitte ich nochmals um Entschuldigung – halten Sie meine Dreistigkeit der mütterlichen Sorge zu Gute.
Mit den herzlichsten Grüßen an Sie und Ihre liebe Frau verbleibe ich in aufrichtigster Ergebenheit
Ihre
Clara Schumann
P. S. Adresse bleibt: Baden-Baden Lichtenthal 14.
Die schlechte Feder und Tinte mögen meine Schrifft entschuldigen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Rigi
  Empfänger: Hartmann, Moritz (623)
Empfangsort: Stuttgart
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
540ff

  Standort/Quelle:*) A-Wst, s: H.I.N. 47650
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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