Düsseldorf d. 27 Nov. 1850
Lieber Herr Ave,
Sie entschuldigen meinen Mann gewiß freundlich, wenn er Ihnen heute nicht selbst schreibt, er ist aber gar zu sehr beschäfftigt, und dann, Sie wissen ja wir Beide sind Eins, und kann ich Ihnen auch nicht schreiben wie er, so kommts doch aus ein und derselben Gesinnung für Sie, unseren lieben Freund. – Recht innig freut es uns, daß Ihr kleiner Robert so zu Ihrer Freude gedeiht, möchte auch Ihrer lieben Frau es jetzt recht wohl gehen! –
Was Ihre Anfragen wegen des Hornstück’s anbetrifft, so läßt Ihnen mein Mann sagen, daß Dasselbe erst zu Weihnachten fertig wird. Es gehören allerdings 4 gute Hornisten dazu, denn, obgleich innig verwebt mit dem Orchester, sind sie doch sehr obligat; ob die vier Hörner aber im Apollo-Saal |2| nicht gar zu viel Lärm machen würden stelle ich Ihrem Ermessen anheim! das Stück ist natürlich für ein sehr großes Lokal berechnet. Soll ich Ihnen nun privatim meine Meinung sagen, so muß ich Ihnen offen gestehen, daß mir dies Stück zu einem der Liebsten Roberts gehört, es durchweht das Ganze ein eigen romantischer Zauber, und, gut gespielt, kann es wohl seine Wirkung nicht verfehlen, vorausgesetzt, daß der Zuhörer sich damit vertraut gemacht, eben 4 Hörner zu hören; ich glaube, das erste Mal wird das Publikum immer durch die 4 Hörner frappirt sein, und daher das Stück nicht gleich würdigen, <wie es sich[?]> wie es denn überhaupt auch hier, wie mit so vielen anderen Compositionen Roberts, der Fall ist, daß man sie bei öfterem Hören erst lieb gewinnt.
Von uns kann ich Ihnen nur Gutes sagen! wir sind hier mit den höchsten Ehrenbezeugungen aufgenommen worden, und werden auf Händen getragen. Zwei unserer Abonnement-Concerte sind bereits vorüber, und gelangen in herrlichster Weise. Im ersten hatten wir: Ouvertüre Op. 124 von Beethoven, Concert G moll von Mendelssohn (Ich), Adventlied vom Robert, Pedalfuge von |3| Bach (ich) und Comala von Gade, ein herrliches Werk, das getrost neben Jedem der besten Meister stehen kann. Kennen Sie es nicht, so lernen Sie es kennen, aber mit Orchester, und Sie werden entzückt sein von der Originalität, der Meisterschaft in der Instrumentation, und dem eigenthümlichen Character des Ganzen. Ehe ich das Stück mit Orchester gehört, habe ich es nicht halb gewürdigt, und nun, nachdem ich es drei mal mit Demselben gehört, gehört es zu meinen schönsten musikalischen Genüssen. – Das zweite Concert brachte: Ouvertüre zu Faniska von Cherubini, Arie von Weber, Concert von Mendelssohn (von Herrn v. Wasielewski gespielt – Sie kennen ihn vielleicht von Reinick her? Robert hat ihn als ersten Geiger hierher gezogen, was sehr angenehm in vieler Hinsicht für uns ist), Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis, Requiem für Mignon (aus Wilhelm Meister) und die A dur Symphonie von Beethoven. Ich wollte nur, Sie wären hier gewesen und hätten Selbst gehört! und was würden Sie wohl zu dem überaus reizenden Requiem gesagt haben! das hat aber auch Alle hingerissen; es ist sehr leicht verständlich, dabei so |4| eigen zart, die kindliche Trauer der Knaben um die Mignon so rührend, und wieder der Aufruf <der> in’s Leben hinein so frisch, daß man ganz ergriffen davon wird. Robert soll es nächste Woche noch einmal aufführen! es dauert übrigens nur 20 Minuten; er will dann zugleich auch die Comala wiederholen. Ueber das Orchester würden Sie Sich auch freuen, denn man merkt ihm die tüchtige Leitung von früher her an. Leider spielt uns der Krieg böse Streiche, denn einige der besten Bläser mußten gestern fort, überhaupt, wenns wirklich zum Krieg kommt, so ist’s aus mit der Musik! es würde mich das sehr traurig machen, umsomehr, da sich Robert in seiner hiesigen Thätigkeit so sehr befriedigt fühlt in vieler Hinsicht. –
Da habe ich nun beinah einen Bogen geschrieben, und von dem, was mich eigentlich heute gerade zum Schreiben bewog, Nichts! so lassen Sie mich denn dies noch beifügen. Vor einigen Tagen kam hier ein Violinspieler Namens Sulot aus Paris; Derselbe kam mit einem Sänger Dechamps, einem Charlatan, der sich überall lächerlich machte, und gab auch hier Concert. Die Leute, die ihn gehört, machten viel Geschrei |5| von ihm, doch wir dachten, es möchte wohl nicht viel dahinter sein, da er zu allen Preisen spielte, und mit diesem Landläufer sich verbündet hatte. Wir gingen aber in’s Concert und waren – hingerissen! außer einem Beethoven’schen Quartett, was er theilweise vortrefflich vortrug, spielte er lauter schlechte Compositionen, spielte aber mit solch einer technischen Vollendung, dabei die Cantilenen so reizend, daß er uns bis zum Schluß in immer steigerndem Maaße interressierte. Mein Mann lud ihn zu uns ein, wir lernten ihn als einen sehr bescheidenen Menschen kennen, er spielte Quartett, u. A. Roberts F dur Quartett vom Blatt mit der größten Energie und der völligsten Beherrschung aller Schwierigkeiten. Ihm ist nichts zu schwer, seit Paganini hörten wir solche Kraft und Reinheit nie, dabei klingt seine Geige herrlich, kurz, ich kann sagen, daß mir nie eine Geige solchen Genuß gewährt hat. Der Mann ist aber von dem Sänger förmlich ausgeplündert worden, so daß er hier sitzt ohne einen Groschen in der Tasche; er möchte nun gern weiter reisen, doch mit Nichts geht das nicht. Wir haben ihm nun zu einem zweiten Concerte zugeredet, mein Mann hat dazu eingeladen, und ich spiele mit ihm Beethovens A Sonate ect. damit er so viel gewinnt |6| um fort zu können, da er aber nun eigentlich nicht weiß, wohin, so war unsere Idee die, ob er nicht in Hamburg im philharmonischen Concerte und dann vielleicht im Theater spielen könnte? <ich> wenn ihm die Direction der Concerte 10 Louisd’or giebt, so ist das doch genug, um daß er hinkommt, und hat er ein Mal gespielt, so spielt er auch öfter, und haben Sie ihn gehört, so nehmen Sie Sich auch seiner an, das wissen wir. Der arme Mensch hat in Paris nicht durchdringen können, warum? das ist sehr einfach! wenn Einer kömmt mit Nichts in der Tasche, da ist es schwer durchdringen, und nun gar in Paris, dies Nest der Intriguen! er war in Köln 4 Wochen, doch Hiller hat auch nichts für ihn gethan, warum? weil er keinen Ruf und kein Geld hatte. (So glaube ich wenigstens.) Nein, es ist wirklich Pflicht, daß wir Musiker diesen Künstlern aufhelfen, und können Sie es machen, so lassen Sie ihn spielen, es wird Ihnen nicht gereuen. Er bleibt bis Montag den 2ten Dec. hier, und wäre es uns freilich sehr erwünscht, wenn Sie uns bis dahin schon antworteten; wenn es nicht möglich ist, bestimmt, so doch wenigstens ein Wort, ob überhaupt Aussicht da ist. Auch nach Leipzig will ich schreiben, vielleicht macht es sich auch dort – wenn wir nur erst Antwort von Ihnen haben.
So seyen Sie denn schließlich mitsammt Ihren Lieben von uns recht herzlich gegrüßt, und verzeihen Sie dem raschen Lauf meiner Feder – fast hörten die Buchstaben ganz auf Welche zu sein.
In immer alter Freundschaft
Ihre Cl. Schumann
NB: Ist Frl. Parish wieder in Hamburg? grüßen Sie sie recht freundlich! erzählen Sie ihr auch ein wenig Etwas von uns, ich konnte ihr noch nicht schreiben – ich habe gar zu viel zu thuen.