23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 8434
Geschrieben am: Freitag 31.10.1851
 

Düsseldorf d. 31. Octbr. 1851
Liebes Fräulein,
mit wahrer Freude erfüllte es mich von Ihnen endlich etwas zu erfahren; oft hatte ich bei Marie Lindemann, mit der ich in ziemlich regelmäßiger Correspondenz stehe, nach Ihnen gefragt, und konnte nicht einmal er¬fahren, wo Sie waren, geschweige denn, wie es Ihnen gehe; doppelt groß war nun meine Ueberraschung von Ihnen Selbst so liebe Zeilen und aus so großer Ferne zu erhalten! es freut mich, daß Sie so viel Schönes gesehen, und doch eine ziemlich angenehme Stellung haben, doch das Leben auf dem Lande in England, das kann einem so lebendigen Wesen, wie Sie es sind, nicht zusagen, und ist auch nicht gut für Ihr musikalisches Leben. Sie müssen Anregung von Außen haben, und das ist ja dort noch viel weniger möglich, als es in Dresden der Fall war. Ich hoffe sehr, daß Sie bald nach Deutschland zurückkehren, dann aber nicht, ohne uns hier besucht zu haben! Sie müssen ja über Düsseldorf, |2| und da wäre ein Uebergehen Unserer ganz unverzeihlich von Ihnen. Kommen Sie aber im Frühjahr nach London, so ist es sehr möglich, daß wir Sie dort schon sehen, denn so Gott will, beabsichtigen wir im nächsten Frühjahr eine Reise dorthin, da wir von verschiedenen Seiten vor allem von Bennett dringend dazu aufgefordert worden sind. Wir hatten allerdings vorigen Sommer die feste Absicht auf 8–10 Tage uns die Industrie-Ausstellung anzusehen, doch wurden wir wieder schwankend, weil wir uns überlegten, daß diese Zeit für London doch gar zu kurz wäre, und ein längerer Aufenthalt dort gar kostspielig, auch sehnten wir uns sehr nach einer schönen Natur, und ha¬ben dann diese auch recht in vollen Zügen in der französischen Schweitz genossen. Wir reisten erst den ganzen Rhein hinauf nach Baden, Basel, Neuchatel, Lausanne, Genf, Chamonny und über ┌Vevey und┐ Bern dann zurück und haben uns da so recht Geist und Herz erfrischt. Ach, Liebs¬te, was sind alle Industrie-Ausstellungen der Welt gegen solch eine Natur! ich habe nie in meinem Leben so geschwelgt, als diese drei Wochen dort in der Schweitz! vor |3| Allem hat mich Vevey entzückt, das ist ein wahres Paradies, und habe ich einen Wunsch, so ist es der, noch einmal in mei¬nem Leben dorthin zu kommen. Als wir von dort zurück kamen, machten wir noch einen Abstecher nach Antwerpen und Brüssel, was uns nun in anderer Weise wieder sehr interressirte. Sie sehen aus alle Diesem, daß kein Hinderniß uns von London zurückhielt, als unser freier Wille, daß ich aber zu der Zeit schon in andren Umständen war, ist wahr, und erwarte ich meine Niederkunft Ende November – ich hoffe zu Gott, daß er mich auch dießmal glücklich über die schweren Stunden geleite. Bei uns ist übrigens Alles im besten Wohlseyn, und auch mein Mann befindet sich im Ganzen viel wohler, als in Dresden. Er arbeitet unaufhaltsam, und schafft gar Herrliches! seine neuesten Sachen sind eine dritte Symphonie, ein Liederspiel „die Pilgerfahrt der Rose“ für Chor, Soli’s und Orchester, eine Sonate für Clavier und Violine, ein Trio und so Manches Ande¬re noch! erschienen ist vor der Hand nur die Symphonie, das Andere kommt später.
|4| Unsere Concerte haben nun wieder begonnen, und <> sie verschaf¬fen uns doch die schönsten Stunden, da hört man doch ordentlich Musik, und das Orchester ist vortrefflich. Sie können wohl denken, wie wohl uns das thut, nachdem wir 6 Jahre der Dürre in Dresden verbracht.
Marie und Elise müssen so ziemlich fleißig an’s Clavier, d. h. sie üben regelmäßig täglich 1–2 Stunden, und den Unterricht gebe ich ihnen seit 3 Monaten selbst; es ist eine große Geduldsprobe, aber man macht doch etwas dadurch, und vor Fremden haben sie doch nicht den Respekt als vor der Mutter, die sie nach ihrem Fleiße loben oder strafen kann, denn, streng bin ich, aufpassen und lernen müssen sie.
Nun wissen Sie so ziemlich unseren Lebenslauf, und wollen Sie uns in unseren vier Mauern sehen, so kommen Sie; es würde mir eine große Freude sein, sie einmal hier zu sehen; dann aber schreiben Sie mir vorher eine Zeile, denn Sie etwa zu verfehlen würde mir sehr traurig sein.
Mein Mann grüßt Sie freundlichst, auch die Kinder, die keineswegs ihre liebe, nachsichtsvolle Lehrerin vergessen haben, und ich drücke Ihnen mit recht warmen Herzen die Hand.
Ihre
Clara Schumann
|Umschlag|
Miss
Miss Friederike Malinska
England
at Mrs. Jervoise’s
Idsworth Park
Horndean Hants
Franco.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Malinska, Friederike (13670)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
1057-1060

  Standort/Quelle:*) Privatbesitz
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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