23.01.2024

Briefe



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ID: 8492
Geschrieben am: Mittwoch 03.11.1852 bis: 15.11.1852
 

Düsseldorf d. 3ten Nov. 1852

Meine liebe, verehrte Freundin,
wie so gern hätte ich Dir schon früher geschrieben, hätte ich gekonnt, wie ich gewollt! ich bin seit 8 Tagen sehr unwohl, (noch Folge von dem Umstande in Scheveningen den ich Dir erzählt) so daß ich mich jeder Anstrengung enthalten muß – eigentlich immer liegen soll, was ich aber nicht kann, soll ich nicht melancholisch werden. Alles Verbotes ungeachtet muß ich Dir heute endlich doch sagen, wie sehr mich Deine so baldige Nachricht erfreut und überrascht hat, denn kaum wagte ich es so bald darauf zu hoffen, und daß Du mich noch obendrein so liebenswürdig beschenkst - gar zu gern wäre ich Dir gleich um den Hals gefallen! nimm meinen herzlichsten Händedruck, meine theuere Wilhelmine. Der Hut ist reizend, und sitzt mir, vortrefflich – ich bin nun wirklich schon einige Mal mit Robert im Sonnenscheine darin herumspatziert, und da haben wir denn der gütigen Geberin auch recht in herzlicher Liebe und Verehrung gedacht. Aber auch ohne dieß würden wir Deiner doch gedacht haben! wie hast Du uns doch so erfrischt mit Dir Selbst und Deiner Musik! es ist doch etwas Herrliches um ein Genie! wie hat Dein Gesang so wieder einmal die tiefsten Seiten unserer Herzen berührt – ich kann es Dir gar nicht so sagen, Du, der jeder Ton aus innerster Begeisterung entspringt, mußt ja Selbst am besten fühlen, wie Dein Gesang aus dem Innersten zum Innersten dringen muß! –

D. 15 Nov:
Seit beinah 14 Tagen liegt dieser Brief unbeendet, weil ich leider selbst liege. Ich mußte, als ich an diesem Briefe schrieb plötzlich aufhören, und auch gleich in’s Bett, und noch immer liege ich auf einer Stelle. So tausenderlei möchte ich Dir noch sagen, doch schreibe ich ohne Erlaubniß, und thue es eben nur, damit Du endlich erfährst, warum ich so lange schwieg. – Ich hoffe in etlichen Tagen wieder aufstehen zu dürfen! ach, Du glaubst nicht, wie schwer mir das Liegen geworden! zum ersten Male in meinem Leben so lange! sieben Kinder zusammen haben mir nicht die Sorge gemacht, als das eine unglückliche Wochenbett. Nun, der Himmel wird uns wohl auch endlich wieder einmal Sonnenschein senden! es wird Dich freuen daß sich meines geliebten Roberts Zustand von Tag zu Tag bessert, und zwar seitdem er sich entschloß einmal Blutigel [sic] zu gebrauchen; wir sind nun auch zu der Ueberzeugung gelangt, daß sein Leiden sehr häufig durch Blutandrang nach dem Kopfe erzeugt wurde, und Du kannst wohl denken, welche Beruhigung wir Beide in dieser Ueberzeugung finden. Er hat nun zwar noch nicht wieder dirigirt, hofft es aber bis in 3 Wochen, wo er seinen Manfred im Concert aufführen will, zu können. So sind wir denn eigentlich, trotz meines Unwohlseÿn’s, wieder recht heiter, und ich athme erst jetzt, seit beinah 4 Monaten, wieder freier. – Noch muß ich Dir erzählen, daß unsere Concertsängerin Frl: Hartmann auf einmal aussprechen gelernt! in den zwei Jahren daß wir hier sind, konnte ich mit all meinen Vorstellungen deshalb nichts erreichen, man verstand nie ein Wort, und jetzt, nachdem sie Dich ein Mal gehört, spricht sie aus, und ist’s, als ob ein anderes Wesen aus ihr geworden. Ach, es war doch eine herrliche Stunde an dem Nachmittag bei Klemms – den Wenigen, die sie mit uns genossen, wird sie unvergeßlich bleiben!
Doch ich fürchte jeden Augenblick überrascht zu werden, daher muß ich mich von Dir trennen. Bitte, meine geliebte Wilhelmine, schreibe mir recht bald wieder, und vergiß auch nicht die 500 Stück!?
Deinem lieben, verehrten Manne herzlichste Grüße von uns Beiden, sowie Dir den freundlichsten Blick meines Mannes, der in alle Zeiten mit innigster Verehrung Dir anhängen wird, wie ich es thue.
Deine ewig getreue Clara Schumann.

NB: Verzeihe die schlechte Schrift, aber im Bett ist <?> beschwerlich schreiben! – Wirst Du bald wieder schreiben? oh, bitte thue es, und ist’s auch nur wenig, so ist’s doch von Dir! –
NB: Du hast mir ja die Mignonlieder und die Byron’schen zurückgesandt – ich hatte Dich gebeten sie zu behalten! war das Irrthum, oder welch ein Grund? – Dr: Müller hat mir auch seine verehrungsvollsten Grüße aufgetragen – er war sehr erfreut, daß Du seiner gedacht.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
452ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6847-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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