Lieber, verehrter Freund,
Sie haben mich durch Ihren Brief und Ihre Sendung recht innig erfreut – Sie wußten dieß sicherlich, indem Sie mir schrieben, denn Sie fühlten mit mir die Schwere des Tages, den ich gestern durchleben mußte, ohne Ihn, den über Alles geliebten Mann. Nehmen Sie meinen wärmsten Dank für die große Theilnahme und aufopfernde Freundschaft, die Sie mir in dieser ganzen Leidenszeit erwiesen, mögen Sie sie mir und meinem Robert aber auch in alle Zukunft bewahren, sie ist uns ein theueres Gut, denn wir Beide lieben und verehren Sie recht aus tiefster Seele – das wissen Sie! Ich freuete mich sehr die Stücke von Ihnen endlich gedruckt zu sehen, nur hätte ich den Componisten selbst gleich herbei gewünscht. Es war uns Allen eine Ueberraschung, Sie so plötzlich in Berlin zu wissen, mir insofern eine freudige, als meinem Bruder dadurch recht eine Erfrischung in jeder Hinsicht zu Theil wird. Brahms war aber unangenehm berührt, obgleich er etwas davon geahndet hatte; er hatte immer gehofft, und wir Alle hofften es, Sie in unserer Gegend eine Zeit lang zu besitzen, ich denke aber aus Ihren Zeilen richtig ersehen zu haben, daß Sie jedenfalls noch kommen, und dann bringen Sie gewiß auch den Woldemar mit. Brahms schreibt Ihnen mit mir. In Ihm lernt man auch täglich mehr eine schöne, seltne Natur kennen, er hat so etwas frisches, wohlthuendes in seinem ganzen Seyn, ist so kindlich oft, und doch wieder voll des tiefsten Gemüthes, man findet in Ihm den jugendlichsten freyen offnen Sinn vereint mit dem männlichstem Ernste! und als Musiker muß man Ihn eben so immer mehr bewundern. Er schafft mir, wie Sie Sich denken werden, die heitersten Stunden, so weit es nur irgend möglich, und thut dieß mit einer mich wahrhaft rührender Ausdauer; oft drückt es mich, er bietet mir so Viel, und ich Ihm so gar Wenig! – Mein Bruder schreibt mir von einer Violin-Fantasie, die er beendet, bei welcher er immer an Sie gedacht habe! ich glaube, er ist in großer Sorge, daß sie Ihnen vielleicht nicht gefiele. Das sollte mir recht leid thuen, doch müßten Sie es Ihm offen sagen, das nützt Ihm doch, wenn es Ihn auch erst verletzt. Die letzten Nachrichten von meinem theueren Robert haben Sie sicher vom Woldemar erfahren, daher ich sie Ihnen nicht nochmals mittheile. Sie sind im Allgemeinen immer wechselnd, im Ganzen aber doch von langsamer Besserung zeugend. Ich schwebe im ewigen Hoffen und Zagen, leide überhaupt im Innersten meines Herzens mehr, als sich aussprechen läßt. Doch, ich will Ihnen nicht klagen! Sie kennen Ihn und wissen, was er mir war und ist! Wollen Sie Frau und Frl. v. Arnim recht angelegentlich von mir grüßen – vielleicht sehe ich Sie Alle eher, als wir jetzt denken! – Seyen Sie, lieber Freund, recht in herzlicher Dankbarkeit und Verehrung gegrüßt von
Ihrer
Clara Schumann.
Düsseld. d. 9 Juni 1854