Düsseldorf d. 21 July 1856.
Liebster Joachim,
hätte ich meinem Herzen folgen können, ich hätte Ihnen gleich den Dank gesendet, den ich nach Ihrem letzten Briefe empfand, aber <d>er machte mich so voll neuen Kummers, daß ich nicht konnte; Sie rückten mir eine neue Hoffnung so nahe, und doch mußte ich anderseits die Unmöglichkeit der Ausführung einer solchen Reise einsehen! Sie wissen nicht, wie schlimm es um den Theueren steht. Noch sah ich Ihn nicht, habe aber dem Arzte entschieden meinen Willen, Ihn zu sehen, mitgetheilt. Sehe ich Ihn jetzt auch furchtbar verändert, sein früheres Bild bleibt mir doch ewig, und dann vielleicht doch auch noch jetzt ein freundlicher Blick – das würde mich noch beglücken, und mich wie sein Segen durch mein übriges Leben begleiten. Ich wollte Alles Ihnen zu schreiben Johannes überlassen, doch soll ich solch lieben Freunden wie Ihnen ganz schweigen, weß das Herz so voll ist? der Kummer wühlt schrecklich in meinem Innern! denken Sie, daß der Arzt mir entschieden erklärt, Robert könne nicht lange mehr leben – wie erträgt man das! bleibt nicht bei dem schlimmsten Kranken noch bis zur letzten Minute die Hoffnung, und mir wird sie schon jetzt gänzlich genommen. <> Welch grausames Geschick! <> mußte der unglückliche Mann noch so lange das Traurigste erleiden, und dann doch erliegen! Glauben Sie ja nicht, daß es mir an Kraft gefehlt hätte, das mit Szapary noch auszuführen, doch, seit 4 Wochen beinah schon liegt Er zu Bett wegen körperlicher Schwäche – was ist <doch> da zu machen? doch genug davon – ausklagen kann ich meinen Schmerz ja nie, und nur die Freunde damit quälen. Wie innig leid that mir es, daß Sie wieder so unwohl gewesen, und froh bin ich, daß es jetzt wieder besser ist – Sie haben Sich Selbst am besten curirt. Sie schreiben aber gar nichts über Ihre Pläne? wie lange bleiben sie noch in Heidelberg? kommen Sie gar nicht, uns zu besuchen? wie herrlich aber Ihre Correspondenz mit Joh! ich darf da doch auch manchmal mit hineinblicken? wie poetisch, zart, sind Ihre Variationen! nur kann ich mich mit dem Thema noch nicht recht vertraut machen. Ueber die Fugen von Johannes hatte ich Demselben schon von London aus geschrieben, und, denken Sie meine Ueberraschung, fast Dasselbe, wie Sie später, nur freilich nicht so schön und fein ausgedrückt, wie Sie! die As moll Fuge namentlich hatte mich tief ergriffen, welche Klänge, welch herrliche Stimmung darin, welch schöner, frommer Sinn – der <letzte> Sexten-Akkord ziemlich am Schluß, ist es nicht wie wenn ein Heiligen-Schein sich über das Ganze verbreite? Spielen Sie auch Geige? oder vielleicht gar nicht jetzt? Obgleich ich Concert und Saisonmüde von England zurück gekehrt, so doch keineswegs musikmüde, im Gegentheil, ich habe mich förmlich auf Bach gestürzt, und spiele fleißig allein und mit Johannes; Sie werden begreifen, wie ich mich in London darnach und nach Johannes selbst gesehnt. Furchtbar habe ich entbehrt, wo mir die Kraft herkam auszuhalten, ich begreife es nicht, und doch ist mir England in mancher Hinsicht lieb geworden, und fand ich doch nicht Alles so schlimm wie ich gedacht! selbst für die leichteren Compositionen Roberts gelang es mir ein Publikum zu gewinnen; ich habe mit dem Carnaval zwei Mal Enthusiasmus erregt, so auch mit manchen kleineren Stücken. Das [sic] die Peri gänzlich mißfallen, müssen Sie ja nicht glauben, nach der Presse können Sie da gar nicht gehen, die Presse hält sich durchaus opponierend! daß nun in der Peri die Königin war, deren Anwesenheit alle laute Beifallsbezeichungen unterdrückt, das kam den Blättern gerade recht. Ich wüßte übrigens gar nichts davon, hätte ich nicht hier und da von Recensionen reden hören! Sie wissen, ich lese nie Etwas Derartiges, weil ich all das Scribentenvolk aus tiefster Seele verachte. Roberts Töne werden noch klingen, wenn all das erbärmliche Gelächter erloschen! – Vom Publikum muß man auch nicht zu viel verlangen, wie soll ein englisches Publikum gleich beim ersten Male hören ein so poetisches Werk erfassen? ist es nicht genug, daß ich mit dem Carnaval, und vor Allem dem A moll Concerte die glänzendste Aufnahme fand? Ich bin vollkommen befriedigt von England, bedenke ich die geringen Erwartungen, die ich zuvor hegte. Auch pecuniär kann ich für ein erstes Mal (als Instrumentalistin) wohl zufrieden sein; mir blieben doch nahe an 3000 Thaler übrig, dazu noch ein schöner Érard, den mir Mad. Érard geschenkt, und manch neue liebe Bekanntschaft. Klingemann sah ich leider selten – der arme Mann war tief gebeugt durch den plötzlichen Verlust seines einzigen Knaben, mußte die Frau nach Deutschland bringen lassen, weil der Schmerz sie ganz von Sinnen brachte – ich habe Ihn aber sehr lieb, er ist ein prächtiger Mensch, und vielseitiger Musiker, mit Dem sich gut verkehren läßt. Miss Horsley giebt sich alle Mühe liebenswürdig zu sein, aber eben dies Bemühen ist mir nicht sympathisch. Sie erscheint mir so recht das Gegentheil eines innerlichen Menschen. Sie lebt nur der Außenwelt, und selbst musikalisch empfindet sie nach Außen. Aber, ich halte sie für eine ganz gute Person. Die Familie Buxton hatte ich gern, sah sie aber wenig, ich hielt mich von Allem fern, was nicht sein mußte, und alle Sonntage war ich bei lieben Freunden in Camberwell, wo ich nichts von London, als Rauchwolken sah. Mit Künstlern, nun, das wissen Sie, ist an einen Verkehr, musikalisch, gar nicht zu denken. In London kann man den Nahmen „Künstler“ ordentlich verabscheuen lernen – man schämt sich <> des Namens, und gar nicht so unbegreiflich ist’s, daß die Engländer oft gegen Dieselben Verachtung, oder Geringschätzung zeigen – unter Denen, die’s verdienen, leidet freilich auch mancher Bessere. Man kann aber schon seine Ehre wahren, fängt man es recht an! Liebster Freund, haben Sie Nachsicht mit meinem Geschwätz; kämen Sie bald einmal Selbst, da würde freilich meine Zunge wohl noch lebendiger sein, als meine Feder! Der arme Johannes besteht rechte Geduldsproben,22 er ist nun schon bald 14 Tage aufs Zimmer angewiesen, und wird wohl noch eben so lang nicht hinaus dürfen. Man kann sich aber wohl keinen liebenswürdigeren Kranken denken – nie ein Wort der Klage, und nicht um ein Haarbreit weicht er von den Vorschrifften des Arztes. Ich leide viel mehr dabei, als Er.
Nun leben Sie wohl! schreiben Sie mir einmal?
In herzlicher Liebe Ihre
Clara Sch.