Genf d. 4 Febr. 1858.
Lieber Herr Krais,
glauben Sie nicht, daß ich erst heute daran denke, Ihnen und Ihrer lieben Frau nochmals für alles mir erwiesene Liebe und Gute zu danken! täglich dachte ich daran, wollte Ihnen doch aber gern unsere glückliche Ankunft hier melden können, die denn wirklich gestern erfolgt. Hätte ich etwas von Ihrer dichterischen Ader, dann wäre ich im Stande Ihnen eine Beschreibung unserer Reise zu geben, die eine herrliche war! wir hatten das herrlichste Wetter gestern den ganzen Tag, und sahen die Alpen im Morgenprangen und Abendglühen. |2| Gerade bei untergehender Sonne kamen wir hier an – ein wahres Paradies. Hier meint man könne es nur glückliche Menschen geben, und doch sollen sie recht prosaisch sein. Es ist mir unbegreiflich, daß gerade da, wo man meint, die Natur müsse den Menschen wandeln, man so oft das Gegentheil findet. Nun, es soll eben kein Paradies auf Erden geben, darum ist es wohl so! –
Wie oft sprechen wir von unserem Aufenthalt in Ihrem Hause, wie behaglich wir uns bei Ihnen fanden, wie wir es kaum irgendwo wieder haben werden. Zu meinem Schrecken hörte ich aber erst nach unserer Abreise von Nettchen, wie Vieles Sie und Ihre Frau um meinetwillen entbehrt hatten! soll ich wiederkommen, so darf es so |3| nicht wieder sein! ich werde mich doch behaglich befinden, wo es auch sey, bin ich in Ihrer Familie.
Von meinem künstlerischen Erfolge hier kann ich noch nichts sagen – die Aussichten scheinen günstig. In Guebwiller ist’s mir, was die Aufnahme betrifft, gut gegangen, aber noch nie in meinem Leben habe ich solche Kälte in einem Concerte erlitten, als dort. Denken Sie, daß der Concertsaal eine ehemalige Kloster-Kirche, also unmöglich zu erwärmen. Da also mußte ich bei 10 Grad Kälte <s> im Concertkleide spielen! in jedem Stücke glaubte ich aufhören zu [müssen …]
|4| So eben erst packt Nettchen die blaue Tinte aus – jetzt müßte nun auch das Beste meines Briefes kommen; ich weiß aber nichts Besseres als 1 000 Dank Ihnen Beiden und die Bitte um Ihre fernere Freundschaft. Ein kleines Zeichen, schwarz, oder blau auf weiß würde mich herzlich erfreuen. Meine sicherste Adresse ist „Herrn Rieter Biedermann in Winterthur“.
Gott erhalte Ihnen Ihre Frau, Sie Ihr – Schöneres weiß ich so glücklichen Eheleuten nichts zu wünschen. Und nun leben Sie sammt [Mann(?)] [un]d Kindern wohl […]
Nettchen grüßt sehr – sie hat sich etwas […] während ich allein in Guebwiller […]
Ich schi[cke] unfrankirt, weil mir schon zwei Briefe hier verloren gegangen, die Beide frankirt waren – bitte, thuen Sie desgleichen.
[Umschlag]
Herrn
Dr. Felix Krais
Stuttgart.
(Würtemberg)
Allemagne.
Rothebühlstraße
Nro 79.
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