23.01.2024

Briefe



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ID: 8983
Geschrieben am: Dienstag 11.03.1862
 

Paris d. 11 März 1862.
Lieber Kirchner,
herzlichen Dank für Ihren lieben Brief, und daß Sie so bald schrieben; am liebsten hätte ich Ihnen gleich geantwortet, aber das ging nicht. Ich wollte anderen Tages nach Paris, und stak in der ärgsten Pack-Prosa. Ihr Brief war mir nach Düsseldorf geschickt worden – ich war schon den Tag, nachdem ich Basel verlassen, dorthin gekommen. Nach dem schweren Abschied kam ich in solcher Stimmung nach Frankfurth, daß ich herzlich froh war zu hören, die Zeit sey für ein Concert ungünstig, so konnte ich ohne alle Gewissens-Scrupel gleich wieder abreisen, und war also am anderen Abend schon bei meiner Freundin; dort wurde mir erst etwas leichter |2| um’s Herz, ich konnte Ihr von der letztvergangenen schönen Zeit erzählen. Ich habe wirklich die innigste Freude genossen in unserem zusammen musicieren, und daß Ihnen das Trio in F solchen Genuß gewährt hat, ist mir gerade recht eine Freude; es war mir dabei gegangen wie nur bei der herrlichsten Musik, ich fühlte nicht mehr, daß ich spielte, dann aber spiele ich gewöhnlich am besten – ich kenne kein wonnigeres Gefühl, als dieses.
Leider sollten recht bald all die schönen Erinnerungen getrübt werden durch große Sorge um meine Julie, die drei Wochen bettlägerig war an einer gänzlichen Abspannung der Nerven, wahrscheinlich in Folge der Reise, die sie vor Weihnachten mit mir gemacht. Es ging ihr nun wohl etwas besser, jedoch konnte ich nicht daran denken, sie mit nach Paris zu nehmen. Schließlich habe ich meine Marie wieder bei mir, aber ┌nach┐ |3| welchem Kampfe, Julie mit einer fremden Dame zu Haus zu lassen ect. ect. Sie haben keinen Begriff, wie schwer es ist, wenn eine Mutter nicht zu Hause <> sein kann, Alles so zu ebnen, daß die Kinder weder an Leib noch Seele darunter leiden, und, schließlich fehlt den Kindern doch immer die Hauptstütze und der innige Austausch, der im täglichen Leben, das so viele kleine Interressen mit sich bringt, so wohl thut.
Obgleich ich seit drei Tagen erst hier bin, so habe ich doch schon viel genußreiche Stunden – ausgestanden muß ich sagen, denn mit der Freude des Genusses hat man hier doch immer die Qual der körperlichen Ermüdung. Sonntag Conservatoir-Concert, Abends Alceste in der großen Oper, darnach meiner Marie zu gefallen, ein Ballet, die Solches noch nie gesehen. Das war aber wahrhaftig eine Seelenfolter nach der Alceste, die hat. Was werden Sie nun aber von mir sagen, daß ich über das Conservatoir nicht so entzückt bin? ich finde es technisch vollendet, aber mir fehlt der Schwung und die Wärme, ich kann das Gefühl des Studiums nicht los werden, sie werfen sogar oft eine ganze schöne Gesangsstelle weg, d. h. sie spielen sie pp ohne Schattierung bis zu einem Accent am Schlusse der Periode, den<> heben sie dann so heraus, daß es Einem weh thut; überhaupt scheint mir, sie opfern die Intensionen [sic] des Componisten ihren Effectbestrebungen. Sollten Sie es nicht eben so empfunden haben? fast glaube ich es, Sie haben es nur nicht sagen wollen, und dann kann man eben doch nicht läugnen, daß die große Reinheit und der Wohlklang der Instrumente Einen momentan entzücken kann.
Denken Sie, gestern kommt plötzlich Stockhausen zur Thür herein, er bleibt 8 Tage hier |5| wegen einer Zahnoperation. Ich sehe ihn aber wenig, da er kaum in der Zeit alle seine Bekannte wird aufsuchen können. Neulich war er einige Stunden in Düsseldorf, wo er wieder Frauenliebe herrlich sang.
Notabene: die gütige Fee war ich leider schließlich doch nicht. Ich hatte allerdings Sie als meinen Gast betrachtend (Sie waren doch, hoffe ich, meinetwegen gekommen) bezahlt, da kam aber Stockhausen, und behauptete sein größeres Recht, Sie seyen sein Begleiter gewesen ect., und ich mußte ┌mich┐ fügen. <Sie haben> Nun, ich hoffe doch, Sie sind bald einmal wirklich mein Gast, freilich, wirklich ohne Kellner. Wie Ihnen das behagen wird, ohne Champagner, ohne Geflügel, ohne Eis, am Ende noch gar ’mal Kalbsbraten, wir müssen’s sehen! Sie können aber ja gehen, wenn’s Ihnen |6| üble Laune macht – ich möchte diese nicht empfinden müssen, wie Frau Riggenbach!!!
Recht oft denke ich daran, wie traurig es ist, daß Ihnen Winterthur so unangenehm, Sie so ganz der Anregung entbehren, könnte ich Ihnen doch zu einer Dirigenten-Stelle verhelfen! üben Sie Sich nur nächsten Winter recht im Dirigieren. Nun, wir sprechen uns ja, will’s Gott, bald wieder, erst in Berlin, wenn ich dahin zurückkehre, was allerdings noch zweifelhaft, dann aber im Sommer in der Schweiz. An das Orgelspielen denke ich recht ernstlich, dann lehren Sie mich auch schöne Register ziehen!
Nun leben Sie wohl, lieber Freund. Erfreuen Sie recht bald wieder durch ein sichtliches Zeichen
Ihre
herzlich ergebene
Clara Schumann
Paris, 16, Rue d’Antin, Hôtel des états unis.
Bis Ostern hier.
Bitte, schweigen Sie über mein Urtheil über das Conservatoir es könnte mir sehr schaden, erführe man es hier.



  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Winterthur
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
88-91

  Standort/Quelle:*) D-Zsch; s: 6737-A2; Abschrift: A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 1, S. 24–27, Nr. 11.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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