23.01.2024

Briefe



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ID: 9024
Geschrieben am: Donnerstag 09.12.1858
 

Wien d. 9 Dec. 58.

Drei Tage lang hatte ich einen fertigen Brief an Sie, lieber Joachim, liegen, ich konnte mich nicht entschließen ihn abzuschicken, und schließlich, heute, hab ich ihn zerrissen – er war so traurig, daß ich mich schämte in meiner Schwachheit Ihnen gegenüber. Und aber, wird’s heute viel besser werden? Ihren Brief neulich erhielt ich gerade nach meinem Concerte, glücklicherweise hatte ihn mein Bruder zurückbehalten bis dahin, er erschütterte mich wahrhaft. Daß <> Sie dem armen Bach beigestanden, erschreckte und erfreute mich zugleich. Wären Sie mein Sohn, so würde ich trotz aller Sorge sagen, Sie haben Recht gethan! Gott sey Dank, daß Sie Sich wohl fühlen, und gerade jetzt in rechter Thätigkeit leben. Und wie betrübt hat mich der Dirichlet Tod! hatte ich auch nie große Sympathie für sie, so war sie mir doch werth, als ein Vermächtniß des unvergeßlichen Mendelssohn – so geht Eines nach dem Anderen, und uns bleibt nur die Erinnerung! – Ich habe die letzten Nächte sehr wenig geschlafen und immer daran denken müssen, ob sie nun wohl mit ihren Geschwistern vereint? und warum der Himmel solch lebenslustigen Menschen wie den Bach hinwegrafft, und Menschen die täglich des Lebens Bürde schwer empfinden, leben läßt! ach, wäre ich doch zur Ruhe gegangen an ihrer Stelle. Seyen Sie froh, daß Sie nicht mit mir sind, denn mein Gemüthszustand ist furchtbar traurig, und oft so, daß meine Willenskraft ganz ohnmächtig dagegen. Freilich gebe ich Concerte, aber unter welch inneren Qualen! meine Gesundheit geht dabei zu Grunde. Denken Sie, daß ich kein Concert gebe, wo ich nicht unter Todesangst ein Stück nach dem Anderen spiele, weil mich das Gedächtniß immer zu verlassen droht, und die Angst davor quält mich schon Tage lang vorher. Ich habe nicht mehr die Krafft diesen Zustand zu bekämpfen. In Pesth im letzten Concerte blieb ich in zwei Stücken gänzlich stecken, meine Gedanken verwirrten sich so, daß ich wirklich den letzten Funken Krafft zusammennehmen mußte um nicht aufzuhören. Sie können denken, in welchem Zustande ich nach solchen Erfahrungen mein Concert hier gegeben. Nach dem ersten Stücke bekam ich solch einen Weinkrampf, daß es lange Zeit brauchte, bis ich wieder zu einiger Fassung kam. Ich glaube aber, es wäre besser wären Sie mit mir, es wäre, abgesehen von der künstlerischen Wohlthat, Balsam für mein Herz, das furchtbar alleine steht. Ach, liebster Joachim, es wird wohl bald ein Ende mit meiner Künstlerschaft haben, denn, gäbe es auch der Körper noch her, so ist doch mein Geist geschwächt, und mein Herz wie geknickt. Wüßte ich nur das Eine, ob ich meinen Robert wieder finde! – Seyn Sie nicht bös lieber Joachim, und bleiben Sie mir nur gut, und der nachsichtige Freund meiner Schwächen. Ich weiß, ich sollte stolzer, kräfftiger sein Ihnen gegenüber, doch ich weiß, auch Sie sind ein zu edler Mensch, <> das offene Zutrauen eines warmen Herzens mißbrauchen zu können, und es darum minder zu achten, selbst, wenn es Ihnen zur Last würde. Doch genug, ich will Ihnen Anderes erzählen, zuerst von Pesth. Die Ihrigen waren Alle wohl. Ihre liebe Mutter sehr betrübt, auch Josephine, Sie nicht zu <> sehen. Erstere überlegte viel, ob sie Sie nicht im Frühjahr in Hannover besuchen käme. Ich war einen Abend dort, es war die ganze Familie versammelt – ich mußte gehörig Rede stehen, that es aber geduldig, weil ich immer an Sie dachte, und wie gut es Ihre Eltern doch meinten. Ihre Schwester sah ich öffter und da waren Sie und ihre Hermine immer die Gegenstände unserer Unterhaltung. Letztere macht ihr viel Sorge wegen des Musikunterrichts, der sehr mangelhaft – jetzt bald will sich aber Brand ihrer annehmen. Wie froh war ich, als ich Ihre Zeilen in Pesth erhielt, gerade da, wo ich stündlich Ihrer gedachte. Meine Concerte dort, das 2te und 3te namentlich, waren brillant besucht. Den Zeddel des 2ten lege ich bei, weil er mir bis auf Nro 2, gegen das ich vergeblich geeifert, selbst gefiel. Die Tänze aber gefielen nicht so, wie ich es erwartet hätte – die Musiker waren schon ehe sie einen Ton davon gehört, dagegen, weil er ein Ausländer ect. und das Publikum wartete, glaube ich, <> auf bekannte Melodieen, trotzdem ich auf dem Programm deutlich genug <gesa> gesagt „in ungarischer Weise“ und nicht „ungarische Tänze“. Dasselbe hat doch Schubert auch oft gesagt, und man hat sich damit begnügt. Wäre nur nicht in der Welt so viel böser Wille. Nie habe ich das noch so viel erkannt, als betreffs Ihrer und Johannes. Am 12ten Mittags habe ich mein 2tes Concert (das Erste war sehr voll), und Sonnabend den 18ten das Letzte. D. 19ten werde ich die Freude haben die Peri hier zu hören. Was nachher wird, wohin ich gehe, weiß ich noch nicht. Wäre wohl eine Hoffnung zu schöpfen, daß Sie Weihnachten bei mir in Berlin zubrächten? bitte, schreiben Sie mir das, aber nach reiflicher Ueberlegung, damit ich keine Täuschung dann erfahre. Vergessen Sie es nicht, denn es ist mir von Wichtigkeit. Sonnabend werde ich recht im Geiste bei Ihnen sein bei’m Viol Concert. Wie ist die Passion ausgefallen? war Joh. auch dabei? Wie lautete Platens Antwort wegen Johannes? Nach Ihrer Schülerin will ich mich erkundigen – kann ich ihr in irgend etwas nützen, soll’s gewiß geschehen. Mad. Viardot ist nun wohl wieder in Paris – sie war gekränkt durch Ihr Schweigen. Ich will ihr nächstens den Grund schreiben. Ich wohne hier an derselben Stelle, wo früher Mozart gewohnt und gestorben. Der jetzige Besitzer des Hauses hat ihm ein Denkmal gesetzt. Ich kann nie vorübergehen ohne daß ein heiliger Schauer mich überkömmt. Wollen Sie mir nicht Gisela’s Brief senden? Und bitte, recht bald wieder schreiben? ich bedarf recht sehr des Trostes, soll ich im Stande sein weiter fort zu arbeiten. Leben Sie wohl, lieber Freund, gedenken Sie
Ihrer
getreuen
Cl. Sch.

Schreiben Sie mir auch von den Fortschritten Ihres Concertes, und überhaupt immer recht viel von Sich! – In der Musikalienhandlung von Diabelli am Graben.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
435-439

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6367-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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