23.01.2024

Briefe



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ID: 9040
Geschrieben am: Freitag 28.01.1859
 

Wien 28 Jan: 59.

Liebe, vereherte Wilhelmine,
ist mir je ein Brief schwer geworden, so ist es heute Dieser! ich kann Dir nicht beschreiben, wie sehr mich Deine Nachricht, daß Du den Weg der Oeffentlichkeit wieder betreten willst, bestürzt hat. Theuerste Wilhelmine, kannst Du es noch ändern, so thue es. Du gehst trüben Erfahrungen entgegen, glaube es mir, und das sollst Du, die große hohe Künstlerin? Du, die Du unerreicht dastandest, die Du ein Kunst-Ideal selbst warest, Du willst Dich jetzt der leichten, seichten Menge hingeben, die nach >Stimme< schreit! und sängest Du Dir das Herz aus dem Leibe, sie würde es doch noch nicht zugeben, weil die Stimme nicht mehr die Jugendfrische [hat]! und leider ist es ja diese Menge, die zahlen muß. Entgegnest Du mir, daß man Dir in Dresden von allen Seiten zugeredet, so glaube nur, daß die Meisten von Diesen, Denen Du jetzt umsonst vorgesungen die Ersten sind, welche über Dich herfallen, so bald Du es öffentlich thust. Warum willst Du nicht lieber talentvolle Mädchen zur Bühne ausbilden, ihnen das deutsche Lied erschließen? Genie’s wie Du wirst Du freilich Keine finden, aber Talente, die Dir Freude machen, doch Denke einmal, welches Feld sich Dir da öffnete, wie manche Glückliche würdest Du machen, wie würde Dein Name in Deinen Schülern fortleben! Du, die Einzige welche es kann, würdest der Welt noch dramatische Sängerinnen schaffen, und welch ein Bewußtsein würde Dich täglich beglücken, während Du im anderen Falle immer unglücklich sein wird; Du wirst immer der früheren Zeiten gedenken müssen, Du wirst Dich oft tief gekränkt fühlen, kurz, liebe Wilhelmine, ich bitte Dich, bedenke es noch, thue es nicht, laß unbeschattet die alte Glorie Deinen Namen umprangen, und beglücke mit Deiner Kunst im Privat-Kreise Die, welche es verdienen. Darum hauptsächlich, liebe Freundin, nahm ich Dein früheres Anerbieten, in meinen Concerten zu singen, nicht an. Du warst mir ein Ideal, welches mich durch mein ganzes Leben begleitet hat, ich lebe noch immer in innigster Dankbarkeit in der Erinnerung der Genüsse, die Du mir geschaffen, und jetzt sollte ich die Hand bieten zu diesem Schritt? nein, ich kann es nicht, selbst auf die Gefahr hin, daß Du mir bös wirst, weil ich es für meine Pflicht halte, Alles <noch> zu thuen, was Dich vielleicht noch abhalten könnte. Vom practischen Standpuncte aus genommen würdest Du Dich in Deutschland auch getäuscht sehen. Die Concerte tragen im Ganzen wenig, der große Haufe kommt ein, zwei Mal, dann bleiben nur die Gutgesinnten, die bringen aber wenig ein. Was das Concertieren hier betrifft, so kann ich Dir wegen des Faschings nicht rathen; ich selbst gebe deshalb kein Concert mehr, denn jetzt sind die Leute toll mit Tanzen. Ich habe übrigens längst mein Abschiedsconcert hinter mir, und gebe jetzt nur Stunden hier auf großes Drängen verschiedener junger Damen (Lehrerinnen), die ich aber auch wirklich beglücke, wie ich jetzt zu meiner Freude sehe, kann ich auch in der kurzen Zeit nichts als guten Saamen streuen und Unkraut ausjäten. Das aber versüßt mir den schweren Kampf, den es mich kostet hier auszuhalten, so lange Zeit fern von den Meinigen. – Es versteht sich aber von selbst, daß, willst Du dennoch Concert hier geben, ich Dir beistehe, wie ich’s kann, spiele, besorge, was Du willst. Schließlich, verehrte Freundin, noch einmal die Bitte, sieh, was ich Dir schrieb, als nichts Anderes an, als einen Beweis der treuesten Verehrung für Dich. Ich sehe mit Unruhe Deiner Antwort entgegen.
Wie immer Deine getreu ergebene
Clara Schumann

Schottenhof, 6te Stiege, 4ter Stock, bei Herrn Georg Lickl.


  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
479ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6851-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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