23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 9057
Geschrieben am: Mittwoch 27.07.1859
 

Wildbad d. 27 July 59.
Was dachten Sie, lieber H. Kirchner, wohl, das [sic] ich so lange schwieg? ich hoffe, Sie kennen mich nun doch schon zu gut, als daß Sie nicht überzeugt sein sollten, daß nur Wichtiges mich abhalten konnte Ihnen früher für die schönen Präludien zu danken. Ich fand sie in Düsseldorf, wohin ich vor drei Wochen zurückkehrte, aber so vom Londoner Leben abgespannt, und der gräßlichen Hitze dazu, daß ich wirklich nicht die Spur von Krafft und Frische mehr für Musik hatte – wenn ich das aber fühle, so sehe ich dann auch keine Note an, denn dazu ist <> mir ┌die Musik┐ zu lieb, als daß ich sie gleichgültig betriebe. |2| Nachdem reiste ich hierher zur Kur, und jetzt, nachdem die Luft hier schon wohlthätigen Einfluß auf mich ausübt, kann ich wieder mit Lust und Freude musicieren, und habe so auch Ihre Präludien durchgegangen und genau kennen gelernt. Ich habe mich an vielem Schönen darin sehr erfreut, kann Ihnen aber nicht verhelen, daß ich hie und da Härten finde, über die ich nicht hinweg kann. Warum aber thuen Sie das, dem die Harmonie ihre süßesten Zauber erschlossen? wollen Sie dadurch Krafft erzielen? – Die Liebsten sind mir Nro 3, durchweg reizend, wie lauter dahin gestreute Bouquets, dabei in der Form abgerundet, Nro 4, das mich erinnerte an eine freudige Ueberraschung, Nro 6, das ich bis auf eine Ausweichung (Seite 15, 1tes System) sehr gemüthlich, |3| das Trio lieblich finde, nur etwas zu viel A dur, Nro 10, ganz reizend bis auf ein Fis am Schlusse, das mir empfindlich. Nro 13 aber wäre mir unmöglich lieben zu lernen, diese Ausweichungen gleich nach F dur, dann nach G dur kann ich nicht ertragen. Wer Sie nicht besser kennte aus vielem Anderem müßte nach solchen Harmonien auf einen angehenden Zukünftler rathen. Verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber wo ein wahres Interresse mich beseelt, muß ich Jedes sagen, was ich denke und fühle. Ich habe noch vergessen das Nro 11 zu erwähnen, an Dem ich nur die Kürze beklage, auch gefällt mir Nro 8 sehr, nur finde ich in der Form kein recht schönes Verhältniß, den ersten Theil zu lang, dagegen die Durchführung, die so interressant beginnt zu kurz, oder vielmehr Diese zu kurz gegen Anfang und Schluß, der |4| aber gar anmuthig. Daß im Ganzen die Stücke mich sehr an meinen Robert erinnern kann ich nicht leugnen, doch <> hat man bei Ihnen nie das Gefühl des Nachgeahm¬ten, sondern der eigendsten Empfindung, die<> eben nur von liebevollster Hingebung für Ihn zeugt. So nehmen Sie denn nach allen Für’s und Wider’s noch einmal den herzlichen Dank. Möchten Sie Sich doch bald in größeren Werken ausbreiten – haben Sie das Quartett nicht wieder vorgenommen? welche Freude wäre es mir, könnte ich Sie dazu anregen! oder ein Clavierconcert, oder sonst Größeres! Sagen Sie mir doch, ob Sie nichts Derartiges im Sinne haben? ich glaube in vieler Hinsicht wäre das so gut für Sie, Sie müßten wohl auch manchmal dann ein wenig aus Sich, Ihren Träumereien, herausgehen. |5| Mein Robert träumte auch viel, als junger Mensch namentlich, doch als er ein Mann wurde bannte er seine Phantasie in schöne Formen, und wie herrlich ging er dann einher! – Nun, Sie wissen das ja so gut als Einer!
Jetzt will ich Ihnen aber auch danken für Ihren letzten Brief, der mich sehr erfreuete und an einer Stelle tief bewegte aber auch meinem Herzen sehr wohl that. Sie haben wohl recht, wenn Sie meinen, mein Schmerz müsse oft namenlos sein; er ist es und dann <>ist mir, als trüge ich das Leben nicht länger, aber ich habe ja die Kunst, doppelt mir geweiht durch Ihn, dann die Kinder, <>sein theueres Vermächtniß! auch ich möchte dennoch keine Stunde mehr leben ohne die Kunst. |6| Ihr Ausspruch „Sie haben keinen Freund“ hat mir aber innig leid gethan, und in mir <> Zweifel erweckt, ob es nicht theilweise Ihre Schuld? gönnen Sie Ihrem Herzen wohl an einem Freunde, oder Freundin zu haften? schwärmen Sie nicht von Einem zum Anderen? <so lange Ihnen der Gegenstand> Sie sagten mir einmal, es sey Ihnen eigen über neue Freunde die Alten liegen zu lassen; kann man dann aber wohl Anspruch auf einen Freund für’s Leben machen? hängen Sie treu an Wenigen, und fällt Ihnen von den Wenigen Einer oder der Andere auch noch ab, so bleibt Ihnen doch der Eine und Andere – das Schwärmen gehört der Jugend, Treue und Festigkeit in der Gesinnung dem Manne. Glauben Sie nicht, daß ich Recht habe?
Nun will ich Ihnen aber auch |7| noch Etwas von mir sagen. Ich bin also zur Kur hier mit meiner ältesten Tochter und einer Freundin aus Düsseldorf. Es gefällt mir sehr gut hier, ich habe noch kein Bad gefunden, wo es so ungenirt ist, wie hier! man kann jeden Tag andere Spatziergänge auf die Berge in die Tannenwälder machen, findet überall trauliche Plätze zum Ausruhen, und das Beste, man braucht keinen Menschen zu sehen, wenn man nicht will. So lebe ich denn, wie Sie wohl denken können ganz still zu Haus, im Walde und am Clavier. Schön wäre es, überraschten Sie mich einmal mit recht viel Musik unter’m Arme und recht viel 4 Händigem! doch Zureden möchte ich Ihnen nicht, denn Zerstreuungen giebt es sonst Wenige, Spielbank Keine; wie gesagt, Wald außen, Musik innen, was Sie |8| freilich Beides in der Schweiz auch haben. – Ich bleibe jedenfalls noch drei Wochen, wohin dann, das weiß ich noch nicht! ich möchte wohl das Berner Oberland kennen lernen, Einige der schönsten Punkte besteigen, doch nur unter einem männlichen Schutze. Stockhausen ist jetzt bei Luzern, er sprach davon vielleicht so eine Tour mit zu unternehmen, nun, ich überlasse es der Zeit.
Wollen Sie Herrn Rieter bitten mir wieder 6 Photographieen von Hanfstängel so bald als möglich zu schicken? grüßen Sie Ihn und Familie auch sehr.
Haben Sie die Skizzen ect. fertig? das Trio v. Robert kenne ich noch nicht. Nächster Tage erwarte ich Brahm’s [sic] Serenade von Ihm 4 händig arrangirt, und nun Adieu! schreiben Sie bald wieder Ihrer Ihnen
herzlich ergeb
Cl. Schumann.
Wildbad (Würtemberg) bei der Wittwe Pfleiderer.



  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wildbad
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Winterthur
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
74-77

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6736-A2; Abschrift: A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 1, S. 12–16, Nr. 6.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.