23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 9087
Geschrieben am: Mittwoch 21.09.1859
 

Mehlemer Aue d. 21 Septbr 59.

Lieber Freund,

ehe Sie nach Irland gehen muß ich Ihnen noch danken für den, wenn auch unfreiwilligen, Geburtstagwunsch, der das Erste am Morgen auf meinem Frühstückstisch war. Er war Tags zuvor gekommen, Frl. Leser hatte ihn aber bis zum anderen Morgen verwahrt. War es nun auch nicht Ihre Absicht mir diese<r> Freude zu bereiten, so habe ich sie doch empfunden, und als einen freundlichen Zufall dankbar aufgenommen. Daß Sie, lieber Joachim, so unwohl waren ist mir sehr leid, und beunruhigt mich, weil ich fürchte, Sie schonen Sich nicht genug, namentlich, wenn Sie jetzt die große Reise machen. Ich hörte, daß das Uebel bei öfterer Wiederkehr gefährlich werden könne. Bedenken Sie das doch ja recht, und strengen Sich auch nicht zu sehr an. Von Johannes erhielt ich das Adagio zur 2ten Serenade. Es ist von hoher Schönheit, Alles, was Dieses in sich faßt, edel, innig, oft ganz rührend, fromme Stimmung durchgängig, fängt gleich recht Bachisch an – ich schickte es Ihnen am liebsten gleich mit, damit Sie es so bald als möglich sähen. Ich bin ganz erfüllt davon – mir zieht es die ganze Seele mit hinein. Nun, im Nov., nicht wahr, da werden Sie doch Johannes vor Allen sehen und recht genießen, was er geschaffen. Marienlieder für Frauenstimmen hat er mir auch mitgeschickt, die reizend sind, und oft ganz wunderbar originell klingen müssen. Ihre Nachricht von Mrs Robinson hat mich aufs freudigste überrascht – der Himmel gebe nur diesem Glücke Bestand. Neulich sah ich zufällig Klingemann und Frau bei Killmanns, was mich sehr freute; ich trug Ihm Grüße an Sie auf. Seit heute bin ich hier bei Frau Deichmann, die mir so lange zuredete zu Ihr zu kommen, bis ich es that. Ich habe einige Schülerinnen hier, die von Godesberg kommen, ferner Hiller ziemlich nahe, auch in Godesberg. Leider musicirt sich’s mit Ihm nicht so recht frisch weg, er hat eben doch für Vieles gar kein Interresse mehr (z. B. Bach) was mir so unendlich leid ist. Ich habe aber immer Mitleid mit Ihm, denn er scheint nach keiner Seite hin glücklich. – Ich denke bis Ende d. M. hier zu bleiben, gehe dann nach Düsseld. und bleibe dort den Octbr. bei Frl. Leser, abwechselnd hier und da öffentlich spielend (in der Umgebung, Cöln, Aachen ect.) vielleicht thue ich’s mit Stockhausen, der Ende Monats an den Rhein kommen will. Von mir wollen Sie wissen? da läßt sich nicht viel sagen. Von dem Baden spüre ich durchaus gar keine wohlthuende Wirkung, trotzdem <fehlt> fehlen mir sehr die wunderbar düster schweigsamen Tannenwälder, die meiner Gemüthsstimmung so sehr zusagten, denn, war es je einsam in meinem Innern, so diesen Sommer. Vom Rhein sehe ich wenig – ich arbeite fleißig, und muß es, will ich Geist und Körper aufrecht erhalten. Ich schreibe Ihnen meine Adresse, oder am besten an Frl. Leser in Düsseldorf. Ich erwarte von Ihrer Reise keine Nachricht, nehme sie aber freudig auf, wenn sie kommt! – Wohl kann ich mir Ihr Leben ein furchtbar zerstreutes denken, ziehen Sie erst von Ort zu Ort, darum beanspruche ich Nichts! Daß meine Julie zum Besuch bei’m Vater in Dresden, schrieb ich Ihnen wohl. Er schreibt mir ganz entzückt über ihre musikal Begabung, und bot mir an sie ganz dort zu behalten und auszubilden. Das hat mir schon viel Kampf gekostet, ich weiß sie lernt einestheils bei Ihm mehr, als bei irgend einem Anderen, aber ein großes „Aber“ steht im Wege! was spielt und singt sie? Der Briefbote verlangt eben die Briefe für die Post, darum schnell ein herzliches Lebewohl lieber Joachim.
Immer
Ihre
getreue
Cl. Sch.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Mehlemer Aue
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
471ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6370-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.