23.01.2024

Briefe



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ID: 9140
Geschrieben am: Samstag 03.03.1860
 

Wien d. 3 März 1860 Abends 8 Uhr.
Gerade jetzt, lieber Johannes, werden die Töne Deiner Serenade erklingen
– trügen die Schwingungen sie doch bis zu mir! es ist sehr hart für
mich, daß ich nun hier sitze, Ihr wohl kaum an mich denkt. Was Du da in
Deinem letzten Briefe äußerst, als seyen Deine Sachen nicht gut genug
um anders von mir als nur so obenhin und flüchtig angesehen zu werden,
verdient eigentlich gar keine Antwort. Welcher Mensch in der Welt
weiß es wohl besser wie Du, wie z. B. in der Serenade jeder Ton mir zu
Eigen geworden, |2| wie überhaupt ich Alles von Dir warm und tief in
mir aufnehme – Du solltest Dich doch recht ordentlich schämen, solche
nichtssagende Phrasen zu machen! oder, wolltest Du gern wieder hören,
was Du doch weißt?
Wie bist Du auf die Harfe und Hörner gekommen? ich kann mir
keine Idee von dem Zusammenklang <D> dieser beiden Instrumente
machen, aber ganz eigenthümlich wird er sein, gewiß etwas zauberhaftes
haben? Da war wohl in Deinem Chor ein recht hübsches junges Mädchen,
die Harfe spielt, für die Du es componirt? ich denke mir das Ganze recht
schwärmerisch, wenn nicht die Hörner etwas unsanft im Zimmer hinein
fahren. |3| Bitte, schreibe mir darüber, das interressirt mich sehr, vor
Allem aber über die Serenade in Hannover.
Mit Herbeck sprach ich gestern wegen Deines Ave Maria und Begräbnißgesanges,
und er bedauerte sehr nicht vor einigen Wochen davon
gewußt zu haben, er hätte es Morgen machen können, wo er aus
Verlegenheit einen Chor von Mendelssohn gewählt habe ect. Nun, er
wolle es aber bei nächster Gelegenheit aufführen, und Du möchtest Ihm
doch gleich Beides schicken. Im nächsten Gesellschafts-Concerte am 18ten
kommen gar keine Chorsachen vor, aber im Letzten wäre es vielleicht
noch möglich <zu> einzurichten. Er machte den Vorschlag, ob Du diese
beiden Sachen nicht gleich stechen lassen |4| wolltest, sie brauchten
dann hier doch an 200 Stimmen, und das decke ja dem Verleger schon
fast die Kosten. Ueberlege doch das mit Cranz, und schreibe mir darüber,
schicke mir aber beide Partituren und, wenn Du die Serenade nicht
augenblicklich brauchst, auch Diese, ich möchte sie gern Eckert zeigen,
der jetzt wunderschöne philharmonische Concerte im Theater giebt, wo
er neulich auch Roberts D moll Symphonie und Ouvertüre, Scherzo und
Finale ganz herrlich aufgeführt hat, so daß alle Welt noch in Entzücken darüber ist. Aber schicke die Partituren ja recommandirt mit Angabe eines Werthes. Die philh. Concerte sind nun zwar beinahe vorüber, das macht aber nichts, es kann für nächsten Winter nützen, wenn Eckert schon jetzt die Partitur kennen lernt.
|5| Was ich Dir v. Bagge schreiben soll, weiß ich eigentlich nicht recht – ich habe im Ganzen so wenig Zutrauen zu den Recensenten, so viel weiß ich aber, er will das Beste, und tritt entschieden gegen die Zukunftsmusik auf. Ein recht tüchtig gebildeter Mann (Musiker) ist er wohl; der v. Br. ist Debrois, ich habe Ihn neulich selbst gefragt, Bagge nämlich.
Denke Dir, was neulich hier passiert ist. Es wurde in einem Gesellschaftsconcert <P> im großen Redouten Prometheus v. Liszt und darnach G moll Symphonie von Mozart gegeben. Wie überall hatte auch hier Liszt seine Claqueurs, die jedoch augenblicklich durch allgemeines Zischen zur Ruhe gebracht wurden; als aber darauf die Symphonie begann brach nach den vier ersten Tacten ein |6| endloser Jubel in einer dreimaligen Salve los – um eine <Demo> beabsichtigte Demonstration zu sein, war die Wirkung zu allgemein, Jeder auch der Unwissendste erzählt er habe die ersten Mozart-Töne förmlich wie laue Frühlingsluft empfunden, die, wie Hanslick sagt, ┌plötzlich┐ in einen mit Qualm erfüllten Raum eindringt. Wäre ich doch nur dabei gewesen, ich hätte auch mitjubeln wollen. Das freut Einen doch unbändig, wenn das Publikum einmal das Herz auf dem rechten Flecke hat. Es hieß Liszt u. Bülow hätten wollen hierher kommen, doch plötzlich schweigt die Fama davon.
Zu hören giebt es viel! obgleich Vieles Schöne schon vorüber. Morgen werde ich zum ersten Male die Ruinen von Athen hören, ferner drei |7| Lieder für Chor vom Robert, die erst jetzt bei Arnold erschienen sind, und die ich noch nie gehört, dann Montag Sommernachtstraum, Dienstag Faust, Mephisto von Lewinski, worauf ich mich sehr freue. Bei dem fühlt man so recht die Gewalt des Genie’s, wie das zündet, die ganze Seele erfaßt! wie wünschte ich Du sähest Den einmal! Nun, wer weiß, wie bald das geschieht, ich denke mir Dich bald einmal in Wien. Nächstens steht im philh. Concert Israel in Aussicht, dann Fidelio ect. ect. Diese Genüsse machen mir Wien immer zu einem schönen Aufenthalt, und jetzt gerade dürstet meine Seele darnach. Ich habe diesen ganzen Winter Wenig gehört, Viel entbehrt.
|8| Mein erstes Concert hat schon am 1 März statt gefunden, und war drückend voll; schon lange vorher waren die guten Plätze für alle drei Concerte (ich habe nämlich einen Cyclus von Dreien veranstaltet) fort, und zuletzt war Alles genommen. Was mir aber am meisten Freude gemacht, war der Empfang, als ich erschien, ein endloser Applaus, dem ich’s anfühlen konnte, daß er den Leuten von Herzen kam, die mich <her> lieb haben; es war das gebildetste Publikum, was man überhaupt hier haben kann. Es läßt sich überhaupt gar gut hier musicieren – wenn man denn doch einmal vor’m Publikum Musik machen muß, dann freut es Einen aber auch, wenn man merkt, wie’s die Leute packt. Im Carnaval z. B. verging doch kein Stück wo ich nicht durch immer wieder anfangen |9| des nächstfolgenden Stückes den Beifall des Publikum’s so quasi abwehren mußte – stört das auch, so freut’s im Grunde genommen doch. Wie übrigens die Verehrung für Robert hier wächst, glaubst Du kaum, und <ess>das giebt mir, wenn auch Schmerz einestheils, so doch auch das schöne Gefühl der Genugthuung für Ihn, der hier vergebens kämpfte.
In meinem nächsten Concert ┌am 8ten┐ denke ich zwei Balladen von Dir zu spielen, die in D Dur und H moll. Das 3te ist am 15ten – was dann wird, weiß ich noch nicht, man spricht mir von einem zweiten Cyklus, doch ehe die drei nicht vorüber, entschließe ich mich nicht. Nach Pesth gehe ich wohl nicht, es sieht dort gar zu unruhig aus. Merkwürdig ist aber, daß alle Theater, Concerte, diesen Winter |10| so voll sind, wie Jahre vorher nicht, und das kommt daher, weil das Geld gar keinen Werth hat; die Leute geben es aus, weil sie nicht wissen, ob es Morgen nicht schon wieder werthloser geworden. Denke Dir nur daß der Thaler 10 Sgr mehr als sonst gilt. Ich werde das beim Einwechseln des Geldes bitter genug empfinden.
Ich denke Dein nächster Brief wird mir keine Klage über zu Wenig bringen, <obwohl[?] empfindest Du sie> das Zuviel vielleicht eher? Laß mich recht bald von Dir hören, lieber Johannes, und sey herzlichst gegrüßt von Deiner
Clara.
Wien, Wollzeile Nro 773 2ter Stock.
Deinen Lieben alles Schöne von mir.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
683-688

  Standort/Quelle:*) GB-Ob, s: Ms. M. Deneke Mendelssohn, c. 1, fols. 129-133
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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