Spa d. 12 Juni 1861
Lieber guter Joachim,
länger, als es sollte, blieb unser Dank aus – Mariens Brief trägt schon einen älteren Datum, ich nehme also die Schuld allein auf mich. Hätten wir die schönen Geschenke nur erst mal hier – wie gern sähe ich mir manchmal in meiner Einsamkeit Ihr liebes Bild an! unser Leben hier ist wirklich ein schrecklich solides. Sie wissen, ich ziehe mich im Sommer immer sehr zurück von aller Welt, aber der Gedanke, ich könnte mit Niemand sprechen, wenn ich auch wollte, giebt mir ein schrecklich unheimliches Gefühl. Denken Sie, daß wir seit dem 1 Juni mit keiner Seele gesprochen, und noch dazu auch in einem Hause ganz allein wohnen, denn noch ist Alles leer. Dächte ich nicht, daß mir die Bäder gut thuen, ich wäre wohl schon wieder auf und davon, <und> so aber scheint es mir, denn ich kann täglich 2–3 Stunden gehen, ohne allzuviel von Rückenschmerzen zu leiden. Die Gegend ist lieblich, wo man hingeht, überall schöner Wald, wie müßte Ihnen und Johannes das gefallen! könnte ich es nur mit einiger Heiterkeit genießen! aber da kommt mir immer die Wehmuth, je schöner die Natur, desto mehr fühle ich die Trauer, nichts mehr mit Ihm, dem geliebten Manne, genießen zu können. Ach, lieber Freund, was kann die ganze lachende Natur sein gegen einen lieben, freundlichen Blick, der mir von Ihm kam! nur in lieber, anregender Gesellschaft gewinnen diese Gedanken nicht die Oberhand – dann freut mich auch, was sonst Schönes mich umgiebt! Hätten wir nur die liebe Julie noch hier, es wäre doch für die arme Marie auch besser, es gäbe dann doch manchmal zu lachen, und Julie regt durch ihre Lebendigkeit sehr an. Ich hätte sie <> kommen lassen, glaubte ich nicht, daß Ihr ein ruhiger Landaufenthalt, ein geregeltes Leben, jetzt zuträglicher, als dies Herumreisen. So müssen die eigenen Wünsche eben immer dem Wohl der Kinder weichen. Von meinem sonstigen Treiben kann ich Ihnen nur wenig sagen, ein Tag vergeht genau wie der Andere, ich schreibe viel, habe wieder einmal eine Menge Briefe abzuwickeln, gebe Marie Stunden, und spiele selbst mitunter einmal eine Stunde Czerny’s tägliche Studien, aber auch wirklich sonst nichts, denn es gefällt mir Alles nicht, und da laß ich es denn lieber – kann ich nicht Musik machen mit warmen Herzen, dann <laß ich> rühre ich sie lieber nicht an. Wie froh war ich, nicht zu dem Concerte10 nach Hannover gekommen zu sein – das hätte mich doch schrecklich geärgert! – Sie thaten freilich am besten der Sache die komische Seite abzugewinnen, für meinen Geldbeutel aber wäre es doch etwas tragikomisch gewesen. Ob Sie nun wohl in Berlin waren? oder Johannes etwa bei Ihnen ist? oder Sie dort in Hamburg? was wird denn wohl schließlich für den Sommer herauskommen? Bitte, lieber Freund, schreiben Sie mir bald, recht viel – denken Sie, welche Freude Sie mir machen. Meine Adresse ist: Spa en Belgique, Palais de Westminster Nro 9A. Denken Sie nicht etwa ich wohnte in einem wirklichen Palais – hier nennt man jedes kleine Haus Palais oder Hôtel, jedes Zimmer, worin man sich eben nur umdrehen kann Salon. Wie ist es mit Scholz geworden? gewiß noch nichts bestimmt. Ich glaube, es wird mir doch recht traurig sein, wenn ich Sie ’mal nicht mehr in Hannover weiß – wo wird man Sie dann noch finden?
Nun, liebster Joachim, seyen Sie innigst von mir gegrüßt und gedenken Sie Ihrer getreuen
Freundin
Cl. Sch.
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Canone per Tonos, a 4. J. B.
Der Canon, von dem ich Ihnen neulich sprach – er klingt so schön.