23.01.2024

Briefe



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ID: 9247
Geschrieben am: Sonntag 15.12.1861 bis: 16.12.1861
 

Leipzig d 15 Dec. 1861 Abends.

Lieber Joachim,

ich muß Ihnen heute noch schreiben, ich weiß, Sie freuen Sich mit mir. Johannes Var. sind mir gestern schön gelungen, und fanden enthusiastischen Beifall, Hervorruf ect. Die Leute, die ich dann gesprochen, haben wenigstens zugestanden, daß sie „interressant“ seyen, freilich mußte ich, wie immer, erfahren, daß doch die Musiker von Fach am schwersten zugänglich sind – sie können nicht unbefangen in sich aufnehmen und sich freuen, daß ’mal Einer wieder etwas Gescheudtes schreibt, kaum eingestehen mögen sie, daß Etwas daran sey! ich könnte Ihnen Beispiele sagen, doch das behalte ich mir für mündlich vor. Respect vor diesen Var. haben sie denn doch mindestens Alle bekommen, und das Andere kommt <> schon später; einstweilen freue ich mich, daß es so ist. Das Mozartsche Concert neulich ist sehr gut abgelaufen, viel besser, als ich es erwartet hatte, nur hatte R. das Malheur nach der Cadenz nicht einzusetzen mit dem Orchester, was mich aus der schönen Stimmung, in der ich war, recht unsanft herausriß. Das Andere ging Alles sehr gut, jedoch ich selbst fühlte nicht mehr das Behagen. Große Freude habe ich gehabt an Liedern meines Robert für gemischten Chor, die R. reizend einstudiert hatte, und die das Publikum entzückten. Das Zigeunerleben mit der Grädnerschen Instrumentation klang prächtig – ich konnte kaum glauben, daß es Dieselbe sey, die ich kürzlich in Cöln gehört, wo Alles so flau wie möglich klang. Gestern wurde im Quartett Eines v. Max Bruch gespielt, das war aber recht langweilig; daß er an Erfindung eben nicht reich, wußte ich schon, hatte aber ein recht hübsch gearbeitetes Chor und Orchesterstück von Ihm gehört, nach welchen ich nicht ein Quartett vermuthet hätte, das am allerwenigsten Quartett ist. Mir kommt die Behandlung der vier Instrumente ganz unbegreiflich ungeschickt vor. Es lief ziemlich schlimm ab – Sie wissen mit dem Zischen sind sie hier gleich bei der Hand. Röntgen’s, die lieben Künstler-Seelen sah ich heute, und erwarte sie noch heute Abend, wo ich mit Ihnen [sic] Etwas musicieren will. Er befindet sich nur leider in letzter Zeit sehr angegriffen, hat aber neulich so schön im Gewandhaus gespielt, daß noch Alle mit großer Wärme davon sprechen, was mich herzlich freut. Wenn man doch Den an den rechten Platz bringen könnte! ich freue mich, daß er das Theater aufgeben will – es widert Ihn zu sehr an. Wie ich jetzt nun wieder so hier in die Verhältnisse blicke, bin ich doch recht froh, daß Sie nicht hier sind. In H. haben Sie es doch nur mit Einem zu thuen, hier mit Mehreren, die Einen wohl zur Verzweiflung bringen könnten. Es fällt mir jetzt ordentlich schwer auf’s Herz, wenn <ich denke> Sie Ihre Stellung aufgeben, und ich denke wieder, Sie könnten Ihre fünf Monate Urlaub doch ganz zum Arbeiten an einem anderen Orte benutzen, verdienten im Winter noch so zwischenhindurch Einiges, und brauchten weder England noch sonst Wen. Es ist wohl dumm, daß ich wieder mit diesem Thema komme, aber es geht mir doch so oft durch den Sinn! Eben kommen Röntgens, ich soll Sie herzlich grüßen, und Ihnen sagen, Ihr Zimmer stünde immer für Sie bereit. Marie schrieb mir neulich über Ihr Concert von Laub, ich will’s Ihnen lieber hersetzen: „man hörte Ihm an, daß er es mit großer Liebe und Hingebung studiert hatte, es fehlte Ihm aber Alles, was Einem Joachim’s Spiel so lieb, so sympathisch, so über Alles schön macht. Er hat weder die Gracie noch die Seele im Ton, und Du kannst Dir denken was ich empfand dies herrliche Concert von Laub hören zu müssen; trotzdem, daß er es technisch wirklich meisterhaft spielte, fühlte man doch, daß er es nicht beherrschte.“

D. 16
Ich konnte gestern nicht fertig schreiben, mochte doch Röntgens nicht zu lange warten lassen. Wir haben Roberts D moll Sonate gespielt, und ich mich wahrhaft erfreut an Röntgens seelenvollem, feinem Spiele. Diese beiden Menschen könnte ich sehr lieb haben, ich wollte, ich könnte mit ihnen an einem Orte leben; die Frau wäre eine Freundin, wie ich sie mir wünschte, immer gewünscht habe<n>, ein warmes Künstlerherz und dabei das liebende Weib und die prächtigste Mutter. Ich halte <> ihr Herz empfänglich für Alles und kräftig dabei. Morgen will ich sie noch ’mal besuchen – könnte es öfter sein, aber hier, wissen Sie, bin ich nicht Herr einer Minute. So denn Adieu, lieber guter Joachim. Lassen Sie mich bald von Sich hören, und seyen Sie 1000 Mal gegrüßt von
Ihrer Clara Sch.

Bis zum 20ten bin ich hier dann in Berlin.

Alles hier grüßt den lieben Joachim. Man hofft noch immer auf Sie.

[Umschlag]
Herrn
Joseph Joachim.
in
Hannover.
frei.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
646-649

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6428-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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