23.01.2024

Briefe



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ID: 9302
Geschrieben am: Freitag 29.08.1862
 

Interlaken d. 29 Aug 1862.
Nur einige Zeilen heute, lieber Johannes, warum mein Dank und Mehreres für Deine schöne Sendung so lange ausbleibt.
Ich erhielt Diese zu meiner Freude noch am Morgen meiner Abreise vom Rigi, wo wir es vor Kälte nicht mehr aushielten.
In Luzern miethete ich mir eine Wohnung am See, thelegraphirte mir ein Pianino von Zürich, und freuete mich schon auf den ruhigen Genuß Deines Quintett’s, das sich gar reich ausnimmt, da kam plötzlich ein schöner Tag, alle Welt prophezeihte gutes Wetter, und machten wir uns schnell mit ’nem kleinen Säckchen auf den Weg zu einer Wanderung. Leider sitzen wir nun hier seit einigen Tagen schon förmlich eingeregnet, die Jungfrau vor uns, aber in dicke Schleier gehüllt – Kirchner sagte heute, er wünsche doch, daß |2| die Jungfrau nun endlich ’mal fertig würde mit ihrer Toilette. Nun haben wir weder Noten noch ich meine Schreibereien bei mir, <um in den Bergen zu wandern [?]> natürlich nahmen wir gar nichts mit, weil wir gedacht, uns auf den Bergen herumzutreiben – es ist zum verzweifeln, obgleich es himmlisch schön hier ist. Gösse es nicht immer vom Himmel herab, so könnte man wenigstens im herrlichen grünen Thal spatzieren; Bis Morgen früh warten wir, ist es dann noch schlecht, so gehen wir direct nach Luzern zurück, ist es aber schön, so komme ich Montag erst dorthin. Mein Erstes wird dann natürlich das Quintett sein, und daß ich Dir darüber schreibe. Einstweilen spiele ich hier Kirchner auf einem elenden Pianino zuweilen Dieses oder Jenes aus Deinen Quartetten – jeden Tag summen wir eine andere Melodie von Dir, die uns nicht aus dem Sinn geht. Kirchner läßt Dir einstweilen |3| sehr danken, daß Du die à 4/m Var. geschickt, mit Ungeduld verlangen wir nach Luzern, und ’nem Clavier, das spielbar.
Was meine Concerte in Hamburg betrifft, so hast Du sehr recht nicht davon zu erwähnen; daß aber Avé Furcht vor Deiner Mitwirkung ect. habe, ist, glaube ich, ein falscher Verdacht, freilich, unbegreiflich genug ist’s, daß er mit Dir über Dinge oder Zustände spricht und überlegt, wo Du am ersten darüber hinweghelfen könntest. So ist’s aber! gehe ’mal in’s Ausland, dann holen <S> sie Dich per Thelegraph zurück, dann geht’s schließlich gar nicht ohne Dich! ich hoffe, mit Wien bleibt es nicht beim bloßen Vorsatz, und ich höre bald von Deiner Reise.
Viel Freude macht es mir jetzt gerade hier, in Mendelssohn’s Briefen zu lesen! wie hat er so recht in allem, wie beschreibt er die Schweiz so herrlich, z. B. auch das wundervolle Grün, das man ordentlich in langen Zügen einathmet.
|4| So denn also nächstens wieder, in Luzern.
Müßten wir nur nicht fort ohne einen Blick auf die Jungfrau, das wäre doch zu bitter!
So nimm denn Gruß und Dank, lieber Freund
von Deiner
Clara.
Grüße an Deine Eltern, Geschwister, auch von den Kindern.
NB: Willst Du nicht Kirchner die Freude machen ein Exemplar Deiner Händel-Var. zu schicken? ich spielte sie Ihm heute, und er sprach wieder mit solcher Begeisterung darüber, daß ich mir dachte, es würde Ihn gewiß sehr freuen, sie von Dir Selbst zu haben.
Meine Adresse bis Mitte Septbr. Luzern im Tivoli.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
840ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 11017-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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