23.01.2024

Briefe



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ID: 9380
Geschrieben am: Montag 31.08.1863
 

Baden d. 31 Aug 1863
Lichtenthal (nicht fels) Nro 14.

Liebster Joachim,

das ist länger geworden, als es sollte! gedacht habe ich Ihrer genug, wollte aber immer recht ordentlich Zeit haben, wenn ich an Sie schreibe, diese <h> aber hier zu finden hält gar schwer. Man brauchte wirklich den Tag doppelt so lang, als er ist, denn sitzt man am Ende ruhig zu Haus, dann will man doch auch ’was vor sich bringen, will weiter kommen, lernen, und was wird es hier? nur mit großer Mühe erübrige ich einige Stunden täglich für mein Studium, zeitweise auch gar Keine, wo ich denn recht unglücklich darüber bin. Ihre lieben Briefe haben mich innig erfreut, obgleich der erste nicht eben Freudiges enthielt – er war aber doch ein Lebenszeichen von Ihnen. Wie sehr habe ich Sie Beide bedauert, solch einen schlimmen Anfang in Salzburg gehabt zu haben, nun, Gott sey Dank, ist ja Ihre liebe Frau, der ich herzlich für den Brief danke, jetzt wieder ganz wohl, und hoffentlich genießen Sie nun mit doppelter Lust die herrliche Natur. Es muß ja wundervoll dort sein – mir wär’s schon recht, ginge der Weg nach München über Salzburg. Uebrigens sollte ein Umweg mich auch nicht schrecken, aber, ich muß still sitzen, habe sogar eine Tour in’s Berner Oberland, die mein Sehnen den ganzen Sommer war, aufgeben müssen, weil ich kein Geld dazu habe. Der Umzug hat enorm gekostet, verdient habe ich diesen ganzen Sommer nichts, und so muß ich erst ’mal wieder im Winter tüchtig arbeiten, um wieder einzubringen womöglich, was ich zugesetzt. Für meine Nerven wären freilich 14 Tage bis 3 Wochen Schweizer Luft recht zuträglich gewesen, denn, ich bin innerlich wahrhaft abgespannt; die Sorgen aller Art waren ganz endlos diesen Sommer, und schließlich wird man denn doch morsch. Das soll aber keine Klage sein, lieber Freund, denn bei alledem ist es ja reizend hier, und an äußerem Comfort wünsche ich mir nichts mehr. An künstlerischer Anregung fehlte es mir auch nicht, ein Trio hatte ich fast die ganze Zeit zur Disposition, auch manche angenehme Besuche; das schönste des Sommers aber war Kirchners beinah vierwöchentliche Anwesenheit hier, er wohnte bei mir, und verlebten wir schöne, gemüthliche Tage; in der Zeit haben wir auch Brahms A dur Quartett vier mal gespielt, und mit immer größerer Freude. Könnte ich doch sagen, daß Brahms Besuch mich eben so sehr erfreut hätte wie seine Musik! dies war aber nur insoweit der Fall, als er ja musikalisch so anregend und erfrischend immer wirkt, wie wenig Menschen, aber leider empfand ich es <> jetzt so ganz klar, daß seit jenem unwürdigen Briefe
mein Gefühl für ihn ein anderes geworden. Meine Theilnahme an seinem Geschick und seinem Schaffen wird immer dieselbe warme bleiben, mein Zutrauen zu ihm ist aber ganz dahin. Mit München haben Sie sehr recht; man schrieb mir schon vor Monaten, ob ich nicht vorausgesetzt, Sie wären einverstanden, meine Zusage zu einigen Soireen geben wolle, worauf ich schon damals erwiederte, daß ich gern bereit dazu sey, aber die Bestimmung ja Zeit hätte, bis wir dahin kämen. Ich zweifle eben so wie Sie an dem großen Kunstsinn der Münchner. Machte es sich aber, so wäre es mir schon recht! so lange Pause wie jetzt haben wir noch nie gemacht. Von Frankfurth aus schrieb man mir, ich möchte Sie doch zu bewegen suchen, daß Sie mit Ihrer lieben Frau ’mal dort im Museum aufträten. Wollen Sie denn das nicht? es ist ein gar schöner Saal dort, gutes Orchester (d. h. ordentliches) und auch dankbares Publikum. Bitte antworten Sie nur darauf, wenn Sie mir schreiben, wo nicht, so in München mündlich. Ich werde dort bei meiner ältesten Freundin Frau v. Pacher wohnen. Nun will ich Ihnen aber Adieu sagen. Grüßen Sie die theuere Frau, leben Sie so froh wie möglich, und gedenken Sie zuweilen meiner
Ihrer
alten treu ergeb
Clara Sch.

Die Kinder grüßen Alle sehr, auch Frl. Leser und Jungé die seit 4 Wochen hier sind.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
736ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6457-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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