23.01.2024

Briefe



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ID: 9443
Geschrieben am: Freitag 18.03.1864
 

Petersburg, d 17/29 März 1864

Lieber Freund,
ich hoffe, Sie haben keinen Augenblick anders gedacht, als daß nur Unmöglichkeit zu schreiben es mir möglich machte, so lange zu schweigen! ich bin recht ernstlich unwohl gewesen und recht lange! doch heute geht es mir, Gott sey Dank, wieder etwas besser, und so ist mein erster Brief an Sie, Ihnen meine herzliche große Freude über Ihr Glück auszusprechen – das Glück, das Sie so lange gesucht, das Höchste auf Erden! Unsere Ueberraschung war groß, wie Sie denken können – Marie sprang hoch in die Höhe und |2| rief, indem sie in die Hände klatschte „wie herrlich, nun hat er es doch endlich erreicht, was er sich so lange gewünscht![“] Sie grüßt Sie sehr, und wir Beide Ihre liebe Braut, meine Namensschwester. Wie freue ich mich sie kennen zu lernen, denn sie muß, Ihren Worten
nach, ein liebes Wesen sein. Nun ist Ihre Verlobung doch veröffentlicht? und, wann führen Sie sie heim? hoffentlich warten Sie auch nicht gar zu lange mehr! Werden Sie doch Ihren einstweiligen Wohnsitz in Hamburg nehmen? Könnte ich doch nun bald von Ihnen Alles hören! – Und wohl wäre dies möglich, wenn der Faust im Juni in Hamburg stattfände. Ich hörte neulich, Sie wollten ihn zu Ihrem Benefiz im Mai |3| aufführen? ist dem so? Singt Ihre Braut auch? wie alt ist sie? wer sind ihre Eltern? leben sie in Hamburg? bitte, schreiben Sie mir bald Näheres von ihr – haben Sie keine Photographie mir zu senden? Von mir kann ich Ihnen soweit Gutes sagen, ich bin überall, wohin ich kam, enthusiastisch aufgenommen worden, und hier ganz besonders. Ich habe hier im Conservatoriums-Concert (d.h. Concert der russischen
Gesellschaft) Robert’s Concert mit enormem Beifall gespielt, dann
3 Kammermusik-Matineen gegeben und dann ein großes Concert im
Theater, das, für die diesjährigen schlimmen pekuniären Verhältnisse hier, sehr günstig ausgefallen. – Ich hatte trotz der enormen Kosten von 700 Rubel noch 800 Rubel übrig. Ende dieser Woche spiele ich bei der Kaiserin, gebe nächste Woche noch ein Soiree und gehe dann wohl nach Moscau auf 14 Tage. Ich bin also zufrieden mit dem Resultat meiner Reise bis jetzt, habe aber auch kleine Ansprüche mitgebracht – mit Capitalien sammeln ist für Instrumentalisten nichts zu machen es klappert nur so, selbst bei den günstigsten Erfolgen. Eine große Annehmlichkeit ist mir geworden dadurch, daß die Großfürstin Helene mich aufgefordert in ihrem Palais zu wohnen, was ich bereits seit 3 Wochen thue. Einmal
spielte ich bei ihr in einer Soiree, und soll Uebermorgen wieder spielen. Aber mit meiner Gesundheit hat’s einige Male recht gewackelt, und jetzt bin ich recht niedergedrückt von der langen Stubenhaft, dem vielen Liegen etc. Nun, vielleicht ist’s auch nun abgethan Sie |5| müßten aber durchaus bald hierher, nächsten Winter, man wird Sie gewiß so aufnehmen wie Sie es nur wünschen können, es ist eben eine ganz andere Sache hier als in England. Sie finden außerordentliche Empfänglichkeit, ein natürliches Verständniß, was schon aus der wirklich musikalischen Organisation der Menschen entspringt, und, mit Schubert und Schumann (man kennt von meinem Mann nur so 3–4 Lieder, Sie ahnden, welche!) reißen
Sie Alles hin. Man liebt Robert’s Compositionen außerordentlich und verlangt nur immer diese. Ich habe mit den symphonischen Etüden, Concert, Carneval etc. immer stürmischen Beifall gehabt. Sie sehen, man ist hier nicht unter Hottentotten und das Clima! ich glaube nicht, daß es Ihnen nachtheilig sein würde, denn es ist nicht feucht, war es wenigstens diesen Winter nicht, auch garnicht streng kalt, und |6| die Heizung viel besser als bei uns – die Temperatur immer in allen Zimmern gleich. Dem lieben Rudorff sagen Sie doch meinen herzlichen Dank für seinen Brief, der mir wirklich eine liebe Ueberraschung gerade an meinem letzten Concerttage kam. Er soll mir aber nicht zürnen, wenn ich jetzt nicht schreibe – ich bin noch sehr angegriffen, und was alles steht mir bevor an Beschäfftigungen, wenn ich erst wieder an’s arbeiten gehen darf!
So sage ich Ihnen denn Lebewohl, lieber Stockhausen und der lieben
Stockhäuserin – mögen Sie das schöne Frühjahr recht in aller Glückseligkeit genießen, und dann so fort und fort! –
Meine Adresse bleibt bis Ende April hier, Palais Michel. Finden Sie Zeit, so schreiben Sie
Ihrer
altergebenen Freundin
Clara Schumann

Von Rubinstein muß ich Ihnen doch sagen, daß er sich prächtig gegen mich zeigt, mir nützlich ist wo er kann, überhaupt ein vortrefflicher Character [Umschlag Innenseite]
Der Sicherheit wegen schreibe ich unfrankirt, thuen Sie auch so, bitte.
Alle Brahms wollen Sie auch grüßen!

[Umschlag Vorderseite]
Herrn
Julius Stockhausen
in
Hamburg.
(Deutschland.)
Hôtel de Petersburg.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: St. Petersburg
  Empfänger: Stockhausen, Julius (1547)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
622-626

  Standort/Quelle:*) D-Hs, s: BRA : Bh3 : 4
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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