Baden Baden d. 12 July 1865.
Lieber Freund,
seyn Sie mir nicht bös, daß ich nicht umgehend auf Ihre lieben Zeilen geantwortet, aber ich habe wirklich, obgleich wohl ein Jeder glauben würde, ich pflegte hier recht der Ruhe, sehr viel zu thuen. Erstlich häufen sich vom Winter her immer die Briefschulden, dann giebt es mit den Kindern immer<lei> allerlei was viel zu denken und schaffen macht.
Herzlich erfreut haben Sie mich durch Ihr so freundschaftliches Vertrauen, könnte ich Ihnen nur gleich helfen! aber gerade, was Sie von mir zu wissen wünschen, ob Herr Röntjen ein guter Dirigent, das weiß ich nicht. Das aber kann ich Ihnen sagen, ich verehre und liebe die Röntjen’s Beide außerordentlich, es sind prächtige, seltene Menschen, |2| vom schönsten, wärmsten Feuer für die Kunst beseelt und Er ein feiner, vortrefflicher Spieler. Ich hätte aber sehr Angst für die Leute, gingen sie nach Hamburg! wie will man dem Manne 1200 Thaler sichern, wenn der arme Rose und Maschkowsky beinah hätten Hungers sterben können, hätten sie sich auf das Wenige, das man ihnen versprochen, verlassen müssen! welch eine Verantwortung einen Mann aus den beglückendsten Familienverhältnissen (sie leben ein ganz gemüthliches Leben mit dem alten Vater Klengel) zu reißen, wenn man ihm nicht wenigstens eine ganz sichere Existenz, schwarz auf weiß, versprechen kann! der Mann muß doch wissen, wenn das viertel Jahr um, dann hat er sein Geld. Sie als geschulter Familienvater wissen das wohl mindestens so gut als ich, und wissen auch, daß Stockhausen, unbekümmert wie es nachher wird, alles daran setzt, es den Leuten plausibel |3| zu machen, wenn er sie gewinnen will. Aber nicht allein auf ihn fällt dann die üble Meinung <von> der <H[?]>Leute<> <Verhältnissen[?]> sondern auch auf die Gesellschaft der philh. Concerte ect. – Das Kind von Röntjens ist ganz wunderbar, und ich denke mir Mozart müsse ohngefähr so gewesen sein als Kind. Die Stunden bei Röntjen’s waren für mich immer tief bewegte, und lange hallten des Kindes Töne in meiner Seele nach, und ich sah immer sein feines geistvolles liebes Antlitz vor mir. Gott erhalte <des> dies Kind den Eltern und der Welt, denn, wer weiß, was wir mit dem erleben. Aber bitte, überlegen Sie es recht mit Röntjen’s – beider Gesundheit ist nicht die stärkste, und diesen lieben Menschen möchte man so gern jedes Leid erspart sehen!
Ihre liebe Frau nicht gesehen zu haben, that mir sehr leid, doch wie hätte ich wohl übel nehmen können, daß sie nicht da waren? sagen Sie es Ihrer theueren Frau, daß es mir ja doch nicht einfallen konnte, daß sie meinetwegen hätten da bleiben sollen. Grüßen Sie sie herzlichst. |4| Sie sollten Ihre Frau abholen und dann mich ’mal überraschen! es wäre Ihnen gewiß wenn Sie sich zuweilen Ihren vielen Sorgen entrissen – wie anders ließe sich auch dann über Manches sprechen.
Johannes schreibt einige Zeilen mit, er ist, wie Sie denken können, unser täglicher lieber Gast. Ueberhaupt bin ich so glücklich ’mal wieder einige Monate so recht gemüthlich in meinem Häuschen zu sitzen, und würde noch mehr Genuß davon haben, drückten nicht einige Sorgen mit den Kindern schwer auf mir, doch darüber ließe sich besser sprechen als schreiben.
Von mir haben Sie wohl die Hauptsache, daß es mir in London sehr gut gegangen, gehört, <es> ich habe mich aber auch sehr angestrengt. Pecuniär hoffe ich für nächstes Jahr noch bessere<s>n Erfolg, da ich dann früher hingehen will, wo in den Provinzen die Saison noch im Gange, die jetzt beendet war, weil ich nach Ostern kam.
Nun, lieber verehrter Freund, lassen Sie mich, bitte, ’mal wieder hören, wie es bei Ihnen steht? und ob Sie vielleicht ’mal kommen? In alter Treue grüßt Sie Ihre Cl. Schumann