23.01.2024

Briefe



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ID: 9776
Geschrieben am: Sonntag 23.02.1868
 

Manchester d. 23ten Febr. 1868.
31, St: James’s Street Piccadilly

Lieber Stockhausen,
seit einem Monate nun reist Ihr lieber Brief mit mir in den <g>englischen Provinzen herum, und immer vergeblich hoffte ich auf ein Stündchen zur Beantwortung, bis endlich heute, wo ich mir ein Solches erzwungen. Ich bin Ihnen gewiß recht undankbar erschienen, auf so theilnehmende Zeilen, die Genovefa betreffend, nicht gleich geantwortet zu haben, aber, abgesehen von allem künstlerischen Treiben, habe ich die ganze Zeit eine so dringende Korrespondenz in meiner Familie gehabt, daß ich an Andres gar nicht denken konnte. Viele Sorgen haben mich, seit wir uns trennten, begleitet, und begleiten mich noch immer, doch, davon will ich Ihnen nicht erzählen, lieber von Erfreulicherem, und das war mir wirklich im hohen Grad die Aufführung der Genovefa. Dieselbe war fast in allen Theilen eine gelungene zu nennen, musikalisch mal gewiß durch und durch, nur scenisch herrschten einige Mängel, woran aber nicht etwa Devrient Schuld hatte, (Dieser hatte im Gegentheil Alles mit größter Sorgfalt einstudiert) sondern die an kleineren Theatern meist mangelnden Scenerieen. dieß namentlich in Bezug auf die Wiederfindungsfigur – der Schluß ging im Wald vor und der ist ___ und ___. Brandes (Golo) Hansen (Siegfried), Boni (Margeretha) waren vortrefflich, auch Frl. Lüdeke (Genovefa), nur fehlten Beiden Letzteren das geistige Element – Alle hatten aber das Werk mit größter Liebe einstudiert und vor Allen Levi, der Alle dafür begeistert hatte. Ich bin nun durch diese Aufführung zu der ganz klaren Einsicht gekommen, daß die Oper ihren Weg machen kann über alle Bühnen, wenn einige Aenderungen vorgenommen werden, nämlich nur ein paar dazu componierte Scenen in ____ verwandelt werden, welches der Handlung einen schnelleren Fortgang, und dem musikalischen Ohre etwas Ausruhen gewährt. Es ist der schönen Musik zu viel, und bewirkt dieses Durchcomponieren zuweilen eine Monotonie, die aber, wie gesagt, leicht zu haben wäre, denn im Uebrigen ist die Oper voll der dramatischen ____. Ich habe lange nachgedacht, welches die rechte Pietät ist, diese Aenderungen vornehmen, oder nichts anrühren? Ich bin nun schließlich doch zu der Uerberzeugung gekommen, daß, dieses Werk, so voll von Schönheit, dem Publikum zugänglich zu machen, die erste Pflicht sey, und sicherlich hätte mein Mann diese Arbeit später selbst vorgenommen! ich habe also Levi, der nun so ganz vertraut mit dem Werk ist, und Bühnenkenntniß genug hat, dabei in seiner musikalischen Empfindungsweise sehr innig der Schumann’schen verwandt ist, gebeten einen Versuch mit den ______ zu machen - gelingt es, so ist es schön, wenn nicht, so hat das Werk ja keinen Schaden erlitten, denn dann unterläßt man die Aenderung eben. Ich möchte, Sie hätten die Oper gehört – es war ein wahrer Hochgenuß (Brandes war ganz ausgezeichnet, wie ich ihn noch nie gehört hatte). Meine Empfindungen waren die der höchsten, aber wehmüthigsten Freude zugleich – ich hatte die Oper zuletzt im Jahr 1850 unter meines Mannes Leitung gehört, und empfand den tiefsten Schmerz daß er nie die Freude gehabt, sein Werk in so liebevoller Weise wieder gegeben zu sehen! – Ihre guten Nachrichten haben mich sehr erfreut, und froh bin ich, daß Sie Ihre Reise nach Rußland mit ruhigerem Herzen antreten können – da singt es sich doch noch anders! – Wie oft habe ich hier schon gedacht, wenn doch Sie mit uns in den Concerten musicirten, wie anders das wäre, als mit den Sängern und Sängerinnen, die wir haben, wo wir am liebsten nicht hinhören. Gestern sang Einer die Arie v. ______, aber, „fragt mich nur nicht, wie!“ Hätte ich mit einem Zauberstabe Sie herbei zaubern können, den Leuten zu zeigen, wie’s sein muß! – Was mich betrifft, so bin ich wieder ganz außerordentlich aufgenommen worden, und habe immer sehr glücklich gespielt – eine so warme Aufnahme animiert doch enorm, der ganze Mensch wird elastischer in Einem. Nun, Sie wissen das auch. Ich denke Ende März, vielleicht auch schon Mitte März, zurückzukehren – Sie wissen, zu lange ertrage ich dies Getreibe nicht. Wenn Sie aber erst im März nach Rußland gehen, ist das nicht etwas spät? Ostern fällt so früh, und da tritt eine lange Pause dort ein. Hör ich bald ´mal von Ihnen? oben steht meine Adresse – ich bleibe von Morgen an immer in London, spiele morgen zum ersten Male mit Joachim wieder – das Herz lacht mir bei dem Gedanken. – Nun Adieu, schönste Grüße an die Frau, Kinder, Bruder, und Ihnen vor Allem von
Ihrer alt ergeb
Clara Schumann

Marie grüßt schönstens.

Bitte an Friedchen herzlichen Gruß – ich schreibe ihr, sobald ich es ermöglichen kann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Manchester
  Empfänger: Stockhausen, Julius (1547)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
699 - 703

  Standort/Quelle:*) D-F, s: Nachl. Stockhausen 27
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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