23.01.2024

Briefe



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ID: 9883
Geschrieben am: Freitag 06.08.1869
 

Rigi-Kaltbad d. 6 Aug. 1869.

Lieber Joachim,

ich hatte nur auf eine Muse-Stunde gewartet, um Ihnen über mein plötzliches Außenbleiben Rechenschaft zu geben – Sie wissen zwar nun Alles von Julie Asten, aber ich möchte Ihnen doch selbst noch ’mal sagen, wie furchtbar leid es mir war den schönen Reiseplan den Sie entworfen nicht mit Ihnen ausführen zu können. Dann wieder auf die Hoffnung in Salzburg mit Ihnen eine Zeit lang zu zu bringen verzichten zu müssen. Aber, ich mußte etwas für meine Nerven, die von Vielem, was ich, schon seit vorigen Winter eigentlich, durchgemacht, sehr herunter waren, thuen, und da ich das Bad in Gastein nicht gebrauchen sollte, so war es doch vernünftiger den Rigi zu wählen, der um Vieles näher und somit practischer für mich war – ich mußte eben der Vernunft folgen. Ich kämpfte lange mit dem Entschluß hier herauf, jetzt, zwei Tage hier, kämpfe ich gegen den Wunsch fort. Sie können nicht denken, wie schrecklich es hier oben ist! es wimmelt so von Menschen, daß man nur in der Wildniß zuweilen ein Plätzchen findet, dazu täglich drei Mal Blechmusik, schlechte Kost, unangenehme Gesellschaft ect. ect. Nun, ich muß eben doch suchen es auszuhalten. Ich hoffe, Sie haben eine schöne Reise nach Gastein gehabt? die arme Julie Asten traf es recht unglücklich Sie nicht zu finden, jetzt aber wird sie königlich entschädigt, da sie sogar bei Ihnen wohnt – herzlich freue ich mich darüber. Wie manches hätte ich Ihnen zu erzählen, thäte es aber doch so viel lieber mündlich, und habe doch noch ein klein wenig Hoffnung, daß Sie vielleicht Baden berühren. Ich frage hierdurch ganz leise an: ist es keine Möglichkeit, daß Ihre Rückkehr <zu> in der Zeit zusammen treffe mit der von Juliens Hochzeit Anfang Septbr? und würden Sie sich nicht entschließen, in diesem Falle, uns einen oder zwei Tage zu opfern? es wäre mir ein gar lieber Gedanke Sie dabei zu sehen. Haben uns gleich die letzten Jahre in weniger innere Berührungen gebracht, und mußte ich auch wohl oft schmerzlich empfinden, daß Ihr so sehr bewegtes Leben Ihnen nicht mehr Zeit ließ mir der theilnehmende Freund zu sein wie früher, so spricht jetzt doch in mir das alte Herz, das eben immer Dasselbe, zu lebhaft, als daß ich nicht den Freund, der mir früher in mancher Leidensstunde getreulich beistand, bei diesem freudigen Ereigniß ganz besonders uns nahe stehend zu sehen wünschte! – Ich denke in diesem Sinne und Gefühle wird Ihnen meine Frage keine unbescheidene erscheinen. So offen aber, wie ich sie thue, sagen Sie mir auch es ganz unumwunden, wenn es sich nicht mit Ihren Plänen vereinbaren läßt, denn ich möchte Sie in keiner Weise zu einem Opfer veranlassen, ist es ein Solches ja schon ohnehin, wenn ich sie [sic] Ihren Kindern einige Tage entziehe. Ihre liebe Frau würden wir natürlich mit Ihnen zu sehen hoffen! – Bleiben Sie aber etwa länger in Salzburg, so denkten wir natürlich nicht mehr an Ihr Kommen, und glaube ich dennoch, daß Sie unserer an dem wichtigen Tage in liebevoller Gesinnung gedenken werden. Julie ist natürlich sehr glücklich, nachdem sie beinah ein ganzes schweres Jahr durchlebt hatte, denn sowohl Marmorito’s Mutter, als auch ich, wollten unsere Einwilligung nicht geben, sie aus vorurtheilsvollen Gründen, ich, weil ich Diese voraus sahe und manches andere Schwere für Julie, durch die Standesverschiedenheit (die Familie ist sehr adelsstolz) sowohl als die Verschiedenheit der Religion noch außerdem. Nun, schließlich hat Marmorito doch Alles besiegt, und da er diese Ausdauer gezeigt, und auch so viel ich ihn kenne, ein feiner, liebenswürdiger Mann ist, so muß ich denn doch auf eine glückliche Zukunft für Julie hoffen. Wie schwer es mir ist, sie dem fremden Manne, mit dem ich nicht ’mal deutsch reden kann, in das ferne Land mit zu geben, kann ich nicht beschreiben – nur eine Mutter kann Solches mit empfinden. Noch etwas Schweres habe ich durchzumachen gehabt mit Ludwig; ich brachte ihn auf Anrathen Aller, die ihn in letzter Zeit gesehen, zu einem Arzt nach Constanz, der eine Anzahl Herren und Damen die theils nervös, theils auch etwas geisteskrank sind, gebracht[sic]. Es war ein furchtbarer Entschluß für mich, mußte aber zu seinem Wohle, so hoffe ich wenigstens daß es physisch namentlich sein werde, ausgeführt werden. Ich hatte ihm (Ludwig) natürlich nur gesagt, daß er nervös angegriffen sey, und daß es mir zur Beruhigung diene, ihn ein bis zwei Monate unter specieller Aufsicht eines Arztes zu wissen. Mit Felix hatte ich ein ernstes Gespräch wegen seiner Carriere als Musiker, und glaube dennoch, er wird nicht davon abgehen; ich habe ihm bis Weihnachten Bedenkzeit gegeben, dann, bleibt er dabei, so sey es! Ich weiß wohl, sein Talent ist kein großes, immerhin aber ist er doch viel begabter, als er sich Ihnen in der Flucht und Befangenheit zeigen konnte. Virtuos zu werden, daran denkt er nicht mehr, aber er kann ein ganz tüchtiger Musiker, Musikdirector z. B. werden, wenn er recht fleißig ist, und wird dann Clavier und Geige hauptsächlich mit treiben neben der Theorie ect. – Mündlich erbitte ich mir später Ihren Rath weiter. Schließlich noch herzlichste Grüße an Sie Beide von Ihrer altgetreuen
Cl. Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Rigi-Kaltbad
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
984ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6526-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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