23.01.2024

Briefe



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ID: 17834
Geschrieben am: Samstag 24.02.1883
 

24 Febr. 1883.
Meine liebe, liebe Freundinn!
Schon seit längerer Zeit wollte ich Ihnen einen längeren Brief schreiben und – wenn ich’s gethan hätte, es wäre sicher ein trüber Brief geworden, denn wir haben einen recht trüben Winter – so Gott will – hinter uns. Meine Frau war Anfang December zu meinen Töchtern nach Lübeck auf 8 Tage gereist, da hat sie sich zu guter letzt so erkältet, daß sie hier krank ankam. Seit dem 6 December ist sie gar nicht aus dem Hause gewesen, musste 5 Wochen das Bett hüten, es hatte sich eine Bronchytes heraus gestellt, die nahe darann war sich zur Lungenentzüntung [sic] zu gestalten. Gottlob, mit Hülfe des Arztes und der größten Schonung scheint die Gefahr vorüber zu seyn, sie fühlt sich wohler, ist aber sehr vorsichtig, was sonst gar nicht ihre Art war und woraus ich so recht merke, wie krank sie sich gefühlt haben muß. Und seltsam, auch ich |2| war fast die ganze Zeit mit sehr unwohl, musste ebenfalls Haus u Zimmer mit wenigen Ausnahmen hüten. Dieser Winter ist viel schlimmer wie einer mit tüchtigem Frost, man erkältet sich viel leichter. Denken Sie, ich habe sogar ein phylh. Concert, das erste seit dem Bestehen derselben versäumen müssen. Am vorigen Sonntag fuhren meine Frau u ich, sie zum 1sten Mal, in einem dicht verschlossenem [sic] Wagen zu meiner Schwägerinn, die auf dem Stadtdeich No 3 wohnt, dasselbe Haus in dem wir 18 Jahre wohnten und in dem all meine Kinder geboren sind. Sie können Sich denken wie eigen mir dort jeder Besuch ist. Sie entsinnen sich desselben sicher noch, es ist ein großes altes Haus, noch von Sonin, der die MichaelisKirche baute, gebaut, die große Diele mit so prächtiger Stucatur an der Decke geschmückt. Dort waren Sie öfter bei uns, unter Anderen auch am 7ten März 1842 einem Sonntag, wo wir viele Freunde bei uns sahen. Auch Sie und Ihr Robert waren dort, es war 2 Tage vorher am Freitag die B dur Symph. |3| Ihres Robert unter seiner Leitung aufgeführt, Sie spielten Webers Concertstück u Solo Sachen. Den anderen Tag war eine Soirée für Sie im Saal Stadt Petersburg, den Sonntag um 1 Uhr eine Matinée in der die Lind sang! An diesen Sonntagabend dachte ich so recht am vorigen Sonntag in demselben Hause. Es war zu gemüthlig u nett. Ihr Robert saß an einem Ecktisch mit Grädener, Hafner, Lee u Böie, Allen schmeckten die Austern und der wirklich köstliche Burgunder, den ich spendirte, so sehr gut, der Mund Ihres Robert wurde immer spitzer vor Wohlbehagen. Ja ja, es war wunternett [sic], einer der nettsten Musikanten Abenden die ich je erlebte. Liebes, bestes Menschenkind, wie Vieles haben wir Beide doch miteinander er- und durchlebt! Glauben Sie mir’s, Sie haben mein Musikleben u Erfahrung zu herrlich geschmückt und die Erinnerung daran hört nie, nie auf.
Und nicht nur mir, nein ganz Hamburg haben Sie geschmückt und auch die Erinnerung hört nicht auf! Noch in unserer letzten |4| Comitée Sitzung, heute vor 8 Tagen, erfuhr ich das in so schöner Weise. Die Zimmermann hatte bei uns Beeth. C moll Concert gespielt, ganz prächtig, auch die Cadenz von ihr, gar schön u ächt. Sie hat so sehr gefallen, daß wir sie öfter einladen werden, sie ist wirklich ein Prachtstück, von der ich viel halte, auch von ihrer Begleiterinn der Lady Goldsmidt diesem Original. Wir sprachen von ihr und Alle fanden daß ihr Spiel an das Ihrige erinnere, aber – allgemein war’s wie ein Seufzer, doch lange nicht so wunderbar innerlich! Ja – wenn wir die Schumann doch noch einmal haben könnten, sie ist so recht das Beste, Schönste! Da meinten die Anderen Alle, ich sollte Sie doch noch einmal einladen und – ich versuch’s hierdurch.
Wir würden unser 1tes Concert der nächsten Saison auf den 26 Octbr ansetzen, damit die Jahreszeit für Sie eine möglichst günstige sey. Hatten Sie Lust dazu zu kommen? Wohl weiß ich’s – Sie können kein bestimmtes Versprechen dahin abgeben, aber – vielleicht können Sie uns Hoffnung dazu machen. |5| Jedenfalls ist der 26 Octbr für Sie reservirt, überlegen Sie Sich’s, es wäre zu prächtig, auch wenn Sie uns nur Hoffnung darauf machten.
Aus dem Göhrenthum komme ich 77 Jahre alter doch noch immer nicht heraus, wie ein Göhr freue ich mich darauf und doch – fast ist’s vermessen in meinem Alter darauf zu hoffen. Aber, gewiß u wahrhaftig, so göhrenhaft sind sie Alle hier, es heißt stets „ach nur einmal noch[“] – und wenn Sie wirklich kämen, es würde auch dann wieder heißen – nur einmal noch. Sehen Sie – das ist der wohlverdiente Lohn Ihrer großen u ächten Künstlerschaft!
Geben Sie uns Hoffnung!
Eben habe ich mit meiner Frau gefrühstückt, sie ängstigt mich, fühlt sich so matt und der Schlaf erquickt sie so wenig – sie meinte eben daß sie es nicht mehr lange mache. Das wolle Gott verhüten, ich hoffe sicher, daß sie sich noch wieder aufrappelt, wenn wir nur erst weiter in der Jahreszeit wären, der Arzt |6| will daß sie Ende Mai noch einmal nach Marienbad gehen soll, das hat ihr früher so sehr gut gethan, Gott gebe daß es wieder der Fall ist, um so mehr, da uns<er> im nächsten Jahr eine so große Freude bevorsteht. Wir hatten einen so prächtigen Brief von unserm Hans, worinn er uns ankündigt, daß er im nächsten Jahr uns auf mehrere Monate besuchen will. Im September werden es schon 6 Jahre, seit er von uns ging, wie die Zeit vergeht! Leider, leider haben wir noch immer keine Nachricht von unserm Robert, mir ahnt dabei nichts Gutes, er ist ein zu sehr Abentheuersüchtiger.
Unsrer Louise in Lübeck geht es Gottlob viel besser, im nächsten Monat wird ihr dritter Junge 1 Jahr alt, sie erkrankte 3 Wochen nach der Geburt desselben so schlimm, daß wir das Schlimmste befürchteten.
Charlotte erwartet Ende nächsten Monates ihre Niederkunft, es wird das ihr <>6tes Kind, die 4 ältesten sind Mädchen, der 5te ein Junge 4 Jahr alt. Ein putzlustiger Junge ist er, Charlotte schrieb uns eine äußerst |7| komische Auffassung von ihm. Die älteste, 12 Jahr<e> alt, ist vor drei Wochen zum ersten Mal auf einem Kinderball gewesen u hat es natürlich sehr wichtig gehabt. Da ist Friedel, so heißt der Junge, zu Charlotte gekommen und hat gesagt, es müsse doch gefährlich für Henriette seyn, auf Bällen zu tanzen. Natürlich musste Charlotte laut auflachen und sagte ihm, so sey es gar nicht, sondern ganz anders. Am andern Morgen kommt er triumphirend an und ruft „Mamma, jetzt weiß ich wie es ist[“] und dabei zeigt er ihr in seinem Bilderbuch eine Fortuna auf einer Kugel stehend, so macht es Henriette! Ist’s nicht köstlich mit solchen Kinderanschauungen?
Wagner todt! Ich kann’s nicht helfen, mir war er mit seinen Tendenzen nicht nur vollständig unsympathisch, sondern vollständig wiederwärtig. Wenn seine die Musik der Zukunft wirklich würde, da würde ich nie mehr zuhören mögen. Gottlob, trotz alledem daß man seiner Energie seine revolutionären Gestaltungen |8| eine relative Bedeutung nicht absprechen kann, halte ich sein Componiren für nur ephemär, sein Bestes „Tannhäuser[“] u Lohengrin sind mir, gegenüber unsern großen Meistern, fast wie Bilder der alten Maler, aus deren Mund ein Zettel hervorragt, auf dem geschrieben steht, was es bedeuten soll. Nie ist ein Künstler, selbst beim und nach dem Tode, so empor geschnellt worden. Ich weiß dafür nur ein Beispiel, das des alten Garibaldi, den man auch so hoch in aller Herren Länder stellte, während jetzt Keiner mehr seiner gedenkt!
Doch genug von alle dem und zum Schluß die herzlichsten Grüße Ihnen und den Ihrigen, auch von meiner Frau, und – Nachsicht mit meinem Geklöhne.
Ihr treuer
Th Avé Lallemant.
Lassen Sie von Sich hören.
Ich habe dieser Tage neue Abdrücke der vor 4 Jahren angefertigten Photographien von meiner Frau und mir machen lassen. Ich weiß nicht, ob sie [sic] welche haben, vielleicht machen Ihnen die einliegenden Spaß.

  Absender: Avé-Lallemant, Theodor (121)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 24
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Norddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Thomas Synofzik, Ute Scholz und Arend Christiaan Clement / Dohr / Erschienen: 2025
ISBN: 978-3-86846-034-6
261-266

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,225
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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