Baden-Baden d. 16 Mai 1871.
Meine liebe Frau Joachim,
Ihr so lieber Gruß hierher hat mich innig erfreut, und mit all den guten Nachrichten doppelt. Es ist ja herrlich, daß Sie kein Bad brauchen. Wie gern möchte ich zureden, daß Sie endlich ’mal eine Zeit lang hier zubrächten! es sind einige Häuser, die etwas höher liegen, z. B. die Villa von Tourjeneff, auch ganz in unserer Nähe ein Haus, mit reizender Aussicht, schönem Garten, auch etwas hoch gelegen, wo die Luft besser wie unten, zu vermiethen oder zu verkaufen, aber es ist doch eine zu riskante Sache zuzureden! das letztere Haus kennt Julie Asten sehr gut, es ist gegenüber dem Gärtner Falk, (wo sie gewohnt hat) mit schönem Rosengarten ect. In unserer Nähe wäre wohl Gernsbach anzuempfehlen, da gehen oft Familien hin, die ruhig leben wollen, die Luft soll sehr gut sein, dann sind im Hause des Wirthes, wo man sich einmiethet, Fichtennadelbäder, die sehr wirksam sein sollen. Es ist von Baden ohngefähr 1 ½ Stunden zu fahren, sehr schöne Parthie. Auf Schloß Eberstein wohnen auch Leute, das liegt höher, gerade über Gernsbach. Wie schön wäre es, verwirklichte sich Ihr Project. Die große Einsamkeit scheint mir jedoch nicht das Rechte für Sie und den lieben Mann – ich für meinen Theil möchte sie nicht. – Unsere Pläne gehen jetzt auf Scheideck (Rigi)– Moritz ist mir gar zu weit, Scheideck hat vortreffliche Luft und eine einfachere Gesellschaft als Kaltbad, wo es jetzt ganz unausstehlich ist, auch ist es auf Scheideck billiger. Sollte Ihnen Allen das nicht auch sehr wohlthätig sein? Grimm’s waren lange dort, und könnten Ihnen sehr genau Auskunft geben, Sie könnten erst hier oder in Gernsbach 1 Monat bleiben, dann mit nach Scheideck gehen. Meine Matinee in London ist noch sehr gut ausgefallen, Frau Goldschmidt sang, obgleich sie ganz heiser war; natürlich erkannte man in jedem Tacte die Musikerin, und in den Liedern meines Mannes (die ersten Drei aus der Dichterliebe) entfaltete sie all ihren früheren Liebreiz, besonders im Dritten, aber, peinlich war es doch die Anstrengung zu sehen, und die dritte Nummer, Lieder ihres Mannes, war schlimm gewählt, doppelt nach Denen meines Mannes; sie gefielen gar nicht, mit knapper Noth, daß das Publikum die nöthige Pietät für sie beobachtete. Es war mir gar zu leid! – Sie benahm sich übrigens gegen mich mit einer Liebenswürdigkeit bis zum letzten Tage, die mich ganz in Erstaunen versetzte ⎡z. B. sandte sie mir als sie von dem Diebstahl hörte gleich eine schöne Broche mit einem höchst liebevollen Briefe, der mich wahrhaft rührte –⎤, und schließlich zu einer Auseinandersetzung führte, da ich, wie Sie wissen, in allen Verhältnissen gern klar bin. Um mich ihrer Liebenswürdigkeit wirklich freuen zu können, mußte ich den Grund ihres früheren Benehmens wissen, den ich denn auch erfuhr. Ich sage Ihnen das mündlich einmal. Mit ihm haben Sie sehr recht, er hätte ganz offen mit Ihrem Manne sprechen sollen, wenn es auch peinlich für ihn war. Ich hätte das nicht von ihm gedacht! ich vermuthe ⎡aber⎤, daß nur Zartgefühl ihn abgehalten offen zu sein.
Von den Dieben hat man nichts entdeckt. Es war recht ein Schreck, und doch berührte er mich unter den obwaltenden Umständen nicht so schlimm, als es in andrem Falle, z. B. bei mir zu Hause, vielleicht geschehen wäre. Ich hatte so viel an Burnands zu trösten, daß sich mein eignes Gefühl unwillkürlich in den Hintergrund drängte; erst nach und nach kam ich mehr zu der Empfindung des Schmerzes über den Verlust, besonders für meine Kinder, denen damit doppelte Andenken verloren gingen insofern Vieles von dem Schmuck mir liebe Andenken waren, aus frühester Jugendzeit noch. Abgesehen davon war doch auch der pecuniäre Werth nicht unbedeutend, ich kann ihn auf mindestens 2000 rh berechnen, meine Brillant Broche war allein über 100 ₤ werth. Nun, ich danke Gott, daß er mir keinen schlimmeren Verlust schickte! denken Sie ’mal, wenn wir unseren Ferdinand im Krieg verloren hätten! und da hätten wir noch nicht ’mal wehklagen dürfen, wo es einer so großen Sache galt! – Ueber den Wagner-Cultus war ich außer mir, Ihrem Berichte nach aber war es nicht so arg als es in den Blättern stand. Wie froh bin ich, daß er nicht angestellt wurde, es hieß als ganz sicher so, und ich sah im Geiste schon all die Konflikte die daraus entstehen mußten. Wie leid thut mir Anna Astens Fortgang für Julie, aber gewiß haben Sie Recht, daß gerade für den Anfang eine Trennung vortheilhaft für Anna’s eigenste Entwicklung ist. Grüßen Sie beide Schwestern herzlich von mir. Ihrem Manne erzählen Sie doch, daß Miss May seit einigen Tagen hier ist, um bei mir zu studieren. Sie ist mir sehr sympathisch. Lassen Sie bald hören was Sie beschlossen – es wäre doch das practischte, wenn Sie gleich vom Musikfest aus weiter gingen – Ihre Kinder könnten die Festtage in Coblenz verbringen, und Sie sie dann abholen.
Dem theueren Jo herzlichste Grüße. Sie, liebe Freundin, herzlich umarmend bin ich Ihre
getreue Clara Schumann.
Die Kinder grüßen schönstens auch Brahms, der mich hier schon erwartete.