Berlin, d. 28.
Liebe, verehrte Frau Schumann!
Schon die längste Zeit will ich Ihnen schreiben und danken, und komme immer nicht dazu weil ich einen langen ausführlichen Brief schicken woll-te. Aber daran ist jetzt nicht zu denken unter allen Prüfungen, und andern Geschäften vor den Ferien, und nun drückt mir meine Furcht Sie könnten böse sein und meine Sehnsucht wenigstens dies Lebens-|2|zeichen ab, bevor Sie Franzenbad verlassen. Ich will am 2ten oder 3ten von hier fort, zu-erst nach Schlesien, wo ich mit meinem Soldaten-Sohn bei den Kindern von Frau von Beulwitz zusammen treffen will, bevor von der Kriegs-schule in Neisse zum Regiment zurück kehrt, nach Stargard i/Pommern. Mitte August hoffe ich Sie in der Pension Moritz |3| aufzusuchen, so Gott will. Sie haben so viel Kummer erlebt, verehrte Freundin, ich habe das getreulich mitgefühlt! – Mein Paul hat eine Drüsen-Operation durch-gemacht; der arme Junge war 1 1/2 Stunden unter Chloroform, ist aber nun wieder wohl, und nimmt bei seiner Mutter seit 8 Tagen in Salzburg Bäder. Frau v. Beulwitz |4| ist schon vorgestern nach Schlesien voraus-gereist, ich sitzen [sic] mit dem Studenten Johannes nun allein hier. Der Junge ist wirklich ein lieber, vortrefflicher Kerl. Von Johannes aus Thun habe ich gestern eine sehr angenehme Sendung erhalten, Noten, worüber mündlich berichtet werden soll. Sind Sie neugierig?
Nun allen Ihren lieben Kindern und Ihnen die herzlichsten Grüße von
Joseph Joachim
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