Frankfurt d. 26/1 ‘95
Liebe Antonie,
lange schon liegt es mir schwer auf der Seele, daß ich für Eure lieben Briefe und für die liebliche Sendung noch nicht gedankt habe. Ihr ver-zeiht mir das aber gewiß, wißt Ihr doch wie sehr ich stets in Anspruch genommen bin. |2| Man sollte glauben, mein Zurücktreten aus der Oef-fentlichkeit habe mir mehr Ruhe gebracht! dies ist aber nicht der Fall, denn durch meine Lehrerin-Thätigkeit erwachsen mir andererseits wie-der Pflichten, u. Beziehungen, so daß ich oft das Gefühl des „Zuviel“ habe. Gott sei Dank, geht es mir aber leidlich, und in meinem künstleri-schen Wirken empfinde ich durchaus |3| keine Abnahme der Kräfte, was mich meine kleinen Leiden leichter tragen läßt.
Nun aber zu dem wirklichen Dank, und herzlichstem Erwiedern Eue-rer guten Wünsche. Wie beglückend mögt Ihr das Gefühl endlich wieder ein „Heim“ zu haben, genießen, und, nach den wunderschönen Photo-graphien zu urtheilen, wie entzückend muß das Besitzthum sein! |4| Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr es mich für Euch freut! Könnte ich selbst ‘mal einen Blick in Euere Häuslichkeit werfen! aber ach, übers Meer komme ich doch nicht noch ‘mal; ich kann mir doch nicht mehr so viel zumuthen. Wie gern sähe ich auch einmal Deine reizenden Kinder, die nun heranwachsen. Welch eine Freude muß es für Deine Eltern sein, wenn sie im Sommer |5| bei Euch rasten. Der Mama scheint es doch leidlich zu gehen? das Bild von den Eltern u. Kindern finden wir reizend. Ach, daß ich die theueren Eltern auch nie mehr sehe! wie schwer wird mir dies Entbehren. –
Ueber Borwicks Voranschreiten in der Kunst freue ich mich sehr. Käme er doch in Deutschland ‘mal zur Geltung – Der ist doch ‘mal ein Schüler, an dem man Freude haben kann! - |6| Ist eigentlich die Parthie der Schwester eine gute? ein Agent, ist das nicht etwas gefährlich, wenn sie Vermögen hat? und, hat sie Keines, doch auch!? Er ist wohl ein liebenswürdiger Mann?
Viel Musik giebt es jetzt bei uns, besonders auch durch Ferdinand‘s Musikstudium. Derselbe widmet sich nun der Kunst, und studiert jetzt jetzt vorallem Clavier bei Marie, u. Theorie bei Urspruch. Julie geht Os-tern fort, |7| ihre Mutter zieht nach Wiesbaden, u. da will nun Julie ihr Heil als Lehrerin dort versuchen, Ihren Platz bei uns im Hause wird wohl ihr jüngerer Bruder ein nehmen, er ist 15 Jahre, und geht jetzt ab, soll (hier womöglich) in die Lehre in ein Geschäft kommen, wir haben aber noch keine Ahnung in welches – es ist eine große Sorge für uns. Wir möchten ihn gern bei uns haben, weil |8| er noch zu jung ist, ihn allein so hinaus zu schicken. Hier bei uns können wir auch für seine Gesundheit noch sorgen, kurz, es giebt eben immer wieder neue Sorgen durch die vielen Kinder, und das drückt mich doch oft, denn die Natur ist eben im Alter nicht mehr elastisch genug, um Sorgen leichter zu nehmen.
Hier geht Alles sonst in musicalischer Hinsicht den – neuen Gang, ich bleibe aber die Alte, in der Kunst wie im Leben, und so bin ich denn auch in alter treuer Gesinnung die Euere.
Clara Schumann.
[Am oberen Rand Seite 1 auf dem Kopf] An die theueren Eltern meine Grüße.